Donnerstag, 8. September 2016

Wanderungen in der Mark Brandenburg (III): Obst für Berlin (und Ziegel)

Werder, Alte Hauptstraße
Die große Zeit für unseren Ferienort Werder an der Havel brach an, als mit dem schnell wachsenden Berlin im 19. Jahrhundert ein riesiger Markt für landwirtschaftliche Produkte sozusagen vor der Haustür entstand. Man spezialisierte sich bald auf den Anbau von Obst und wurde dabei offenkundig (so schreibt es Theodor Fontane) von eingewanderten Spezialisten aus Frankreich und Holland unterstützt. Hilfreich war es, dass man die anfangs gebräuchlichen "Schuten", die mit Menschenkraft gerudert werden mussten, bald durch Dampfschiffe ersetzen konnte, welche große Lastkähne, schwer mit Obstkisten ("Tienen") beladen, nach Berlin schleppen konnten.

Fontane ist über die betriebswirtschaftlichen Rahmendaten, die Chancen und Risiken des Anbaus von Obst bestens informiert. Er entdeckt beim Gang durch die kleine Stadt Anzeichen von gediegenem Wohlstand, findet aber nirgends wirklichen Reichtum. Das Problem sei, so sagt er, dass viel zu oft ein Ernteausfall durch die Ersparnisse der Vorjahre ausgeglichen werden müsse. Späte Fröste, welche die Blüten zerstören, und allerhand Insektenschädlinge können immer wieder einen ganzen Erntejahrgang vernichten. Richtig reich werden, so lehrt Fontane, kann man nur durch fein kalkulierte Handelsgeschäfte, nicht durch die Arbeit der eigenen Hand.

Die umfangreichen Recherchen, die man fast aus jedem Satz von Theodor Fontane herauslesen kann, sind offenbar auch die Grundlage seiner späteren Romane und seines Ruhmes geworden, eine eigene Realistenschule gegründet zu haben, zu der sich etwa auch Thomas Mann gerechnet hat. In seiner Nachfolge muss der Schriftsteller kein großes, phantasievolles Herz mehr haben, sondern vielmehr wache Augen und einen großen Notizblock.

Auch eine zweite Wirtschaftsachse nach Berlin beschreibt Fontane sehr präzise: im Nachbarort Glindow werden große Lehmbestände abgebaut und an Ort und Stelle zu Ziegeln gebrannt, um in Berlin für den Bau von Häusern und Industrieanlagen verwendet zu werden. Anders als in Werder gibt es hier aber durchaus Leute, die es zu offenbarem Reichtum gebracht haben, die Ziegellords, deren Häuser weithin auffallen.

In ihrem Gefolge verdienen die Handwerker, die ihre Ziegel noch in ähnlicher Weise in Formen streichen wie es vor Urzeiten die Israeliten in Ägypten getan haben, gutes Geld. Auch unter ihnen gibt es eingewanderte Spezialisten. Hervorgehoben werden die Leute aus dem Lipperland, die sich von Erbsen und Speck ernähren und sich dank einer straffen Organisation eines hohen Ansehens und wohl auch einer etwas besseren Bezahlung erfreuen. Sie haben sich das Vorrecht erworben, ihre Rohziegel immer als erste in die freiwerdenden Brennöfen schieben zu dürfen. 

Die Produktion der lokalen Ziegelstreicher muss dann warten. Aber auch sie werden - bei bis zu 17 Arbeitsstunden täglich - relativ gut bezahlt, (wenn die Preise für Ziegel nicht durch äußere Umstände in Verfall geraten) und unterscheiden sich darin von den ebenfalls zugereisten Tagelöhnern, die am unteren Ende der Lohnskala stehen.

Fontane kontrastiert die Existenz dieser Tagelöhner mit dem Reichtum der Ziegellords und zeichnet am Ende ein eindrucksvolles Bild der stumpfsinnigen Trübsal, die aus der Armut entstehen kann.

Am See hin, um die Veranden der Ziegellords rankt sich der Wilde Wein, Laubengänge, Clematis hier und Aristolochia dort, ziehen sich durch den Parkgarten, Tauben stolzieren auf dem Dachfirst oder umflattern ihr japanisches Haus, – aber diese lachenden Bilder lassen die Kehrseite nur umso dunkler erscheinen: die Lehmstube mit dem verklebten Fenster, die abgehärmte Frau mit dem Säugling in Loden, die hageren Kinder, die lässig durch den Ententümpel gehen.

Es scheint, sie spielen; aber sie lachen nicht; ihre Sinne sind trübe wie das Wasser, worin sie warten und plätschern.

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