Mittwoch, 16. September 2015

Und´s Diandl hat g´sagt

Seiser Alm


Straßenmusik an besonderer Stelle
Eine erneute Begegnung mit der Erinnerung an meinen Vater gab es heute, und zwar an einer ganz unerwarteten Stelle.

Die Sache ging so vonstatten. Auf dem beliebten Puflatsch-Rundweg auf der Seiser Alm war an diesem schönen Spätsommertag so viel Betrieb, dass sich eine Straßenmusikantin auf das zur Bergstation der Seilbahn führende letzte Stück des Rundweges stellen und, geradewegs so, als ob sie sich in einer Fußgängerzone befände, mit einem kleinen Sammelkorb Spenden für ihre Musik einsammeln konnte. Ihr Vortrag erwies sich, wie wir schon aus großer Entfernung hören konnten, durchaus als spendenwürdig: die Sängerin sang, sich selbst schön auf einem Akkordeon begleitend, Volkslieder aus dem Bereich der Seiser Alm, teilweise sogar in dem hier in einigen Tälern noch gesprochenen Ladinsch, einer alten romanischen Sprachform, dem Rätoromanischen verwandt, das nicht weit von hier in Graubünden gesprochen wird.

In jedem ihrer Lieder kamen wunderbare Jodler vor, und diese brachte sie ganz perfekt heraus, mit ihrem akrobatisch schnellen Wechsel zwischen Brust- und Kopfstimme. Wir blieben einen Moment stehen, legten brav eine Münze ins Körbchen und hörten zu. Erstaunlicherweise verfiel sie in ihren Zwischenansagen in ein reines Hochdeutsch und erklärte ihre Lieder sehr schön. Aus Kassel sei sie, sagte sie uns, und wir sollten ihr doch bitte Fotos und Videos schicken, die wir von ihrem Auftritt gemacht hatten. Auf einem kleinen Zettel gab sie uns ihre eMail-Adresse, während sie weiter sang und spielte.

Bei so viel freundlicher Zuwendung ans Publikum wagte ich dann eine kecke Frage an die Künstlerin: ob sie den „Steirischen Jodler“ spielen könnte, den unser Vater uns Kindern früher immer vorgesungen hat? Sie antwortete, es gebe viele davon, wie denn unser Jodler in etwa klingen würde? Ich fasste mir ein Herz und sang die erste Zeile gerade so, wie sie mein Vater immer gesungen hatte, Dialektfärbung eingeschlossen. Nein das kannte sie nicht, sagte sie, und spielte weiter.

Wenig später zog sie dann aber zu meiner Überraschung ein kleines Aufnahmegerät heraus und sagte mir, ich solle ihr diesen Jodler doch bitte auf ihrem Gerät aufsingen.
Das habe ich dann getan, in vollem Bewusstsein der Unwirklichkeit dieser Szene. Da stehe ich niederdeutscher Tiefebenenbewohner und singe einem Meister der Volkskunst hier oben auf der Alm ein steirisches Lied vor! Später wieder zu Hause habe ich den Jodler mit etwas Mühe schließlich auch im Internet gefunden. Mein Vater sang ihn auf Familienfeiern, zusammen mit seinem Bruder Johannes und seinem Freund Waldemar Dick, letzterer mit einer schönen Tenorstimme, die er in jungen Jahren als Solist im Remscheider Männerchor "Germania" einsetzen durfte. Die Männer sangen sehr schön dreistimmig, mit einer einfachen Gitarrenbegleitung.

Hier ist das Lied - Achtung, YouTube spielt zunächst etwas Werbung ein.


 

Es ist viel von verbotener Liebe darin
Und‘s Diandl hat g'sagt
I soll kemma af d'Nacht
Und i soll mich vor‘s Fenster hinstell‘n
Und i soll ihr an
Steia-ria-rischen, steia-ria-rischen Jodler aufspiel‘n

Der verliebte steirische Jodler tut's und wird in der dritten Strophe, die mein Vater und seine Freunde in meiner Erinnerung niemals sangen, vom Vater des Mädchens im Takt des Jodlers (in der Internet-Version ist es der steirische Walzer) gehörig verdroschen.
Ich erinnere mich jetzt stärker daran, dass mir schon als Kind die ganze Szene nicht recht mit dem vereinbar zu sein schien, was uns über die Sexualmoral eines Christen beigebracht wurde. Aber es gab da im Bereich meiner Familie einige weiche Stellen, „Ambiguität“ würde man das heute nennen, besonders wenn Wein und Gesang im Spiel waren.

Jetzt, bei der Erinnerung daran, oben in den Bergen, ist mir gerade so, als ob mein Leben stärker von diesen weichen Stellen geprägt worden sei, als von der offiziellen Moral.
 

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