Sonntag, 30. August 2015

Dem unbekannten Gott


Predigt im Gottesdienst in der JVA Remscheid-Lüttringhausen


 
Ich habe eine Geschichte mitgebracht aus den ersten Tagen des christlichen Glaubens. Sie stammt aus der Zeit um das Jahr 40 und erzählt eine Begebenheit auf dem Weg, den der Glaube durch das römische Reich genommen hat, und auf dem er sich ausgebreitet hat. 

Am Anfang stand, dass Jesus seine Jünger in die Selbstständigkeit entlassen hatte. Und sie schwärmten jetzt in die ihnen bekannte Welt hinaus, um den christlichen Glauben zu verbreiten. Das war eine Aufgabe, die Jesus ihnen übertragen hatte.  

Für sie war es eine ungewöhnliche Aufgabe. Sie gehörten alle dem jüdischen Volk und dem jüdischen Glauben an. Als Juden war es für sie neu, fremde Menschen auf ihren Glauben anzusprechen. Juden taten das in der Regel nicht, denn man konnte Jude eigentlich nur werden, indem man als Jude geboren wurde, also Mitglied des Volkes war.  

Vielleicht ist der Vergleich einmal erlaubt, dass der Übergang vom rein nationalen jüdischen Glauben auf den internationalen christlichen Glauben so etwas war wie eine Firma, die viele Jahre lang nur für einen örtlichen Markt produziert hat und jetzt auf einmal anfängt, ihre Produkte in der ganzen Welt zu verkaufen.  

Die ersten Schritte waren entsprechend vorsichtig. Die Jünger gingen von Ort zu Ort und besuchten zunächst einmal ihre jüdischen Volksgenossen. Die waren im römischen Reich überall verteilt, und die christliche Mission war zunächst eher eine innerjüdische Bewegung.

Eine neue Strategie

Eine einschneidende Änderung ergab sich in Athen. Die Szene will ich gleich vorlesen. Der Apostel Paulus, der prominenteste Prediger des Glaubens von Jesus,  kommt nach Athen. Er kommt in die alte Hauptstadt des griechischen Weltreiches, die immer noch eine Stadt der Philosophen und der Denker war, die auch das römische Weltreich, das dem griechischen folgte, beeinflusst haben.

Apostelgeschichte 17

16 Als aber Paulus in Athen auf sie [zwei Reisebegleiter, die an einem anderen Ort aufgehalten worden waren] wartete, ergrimmte sein Geist in ihm, als er die Stadt voller Götzenbilder sah.

17 Und er redete zu den Juden und den Gottesfürchtigen in der Synagoge und täglich auf dem Markt zu denen, die sich einfanden.

18 Einige Philosophen aber, Epikureer und Stoiker, stritten mit ihm. Und einige von ihnen sprachen: Was will dieser Schwätzer sagen? Andere aber: Es sieht so aus, als wolle er fremde Götter verkündigen. Er hatte ihnen nämlich das Evangelium von Jesus und von der Auferstehung verkündigt.

19 Sie nahmen ihn aber mit und führten ihn auf den Areopag [einen Platz auf einem Hügel in der Stadt] und sprachen: Können wir erfahren, was das für eine neue Lehre ist, die du lehrst?

20 Denn du bringst etwas Neues vor unsere Ohren; nun wollen wir gerne wissen, was das ist.

21 Alle Athener nämlich, auch die Fremden, die bei ihnen wohnten, hatten nichts anderes im Sinn, als etwas Neues zu sagen oder zu hören.

22 Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt.

23 Ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt.


(nicht gelesen:)

24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind.

25 Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt.

26 Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen,

27 damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns.

28 Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts.

29 Da wir nun göttlichen Geschlechts sind, sollen wir nicht meinen, die Gottheit sei gleich den goldenen, silbernen und steinernen Bildern, durch menschliche Kunst und Gedanken gemacht.

30 Zwar hat Gott über die Zeit der Unwissenheit hinweggesehen; nun aber gebietet er den Menschen, dass alle an allen Enden Buße tun.

31 Denn er hat einen Tag festgesetzt, an dem er den Erdkreis richten will mit Gerechtigkeit durch einen Mann, den er dazu bestimmt hat, und hat jedermann den Glauben angeboten, indem er ihn von den Toten auferweckt hat.

32 Als sie von der Auferstehung der Toten hörten, begannen die einen zu spotten; die andern aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören.

33 So ging Paulus von ihnen.
 

Von links: Nadine (Gesang), Matthias (Gitarre), Christian (Predigt),
Marie-Luise (Kontaktgruppe), Ulf (Kontaktgruppe)
 
Tolerant predigen statt hart

Paulus redet hier nicht so, wie man es von einem richtig aufrüttelnden Prediger erwartet. Er sagt nicht: ihr seid auf einem völlig verkehrten Weg, ihr müsst euch
180 Grad umdrehen, ihr müsst euch richtig bekehren.
 

Viele strenge Bußprediger wollen den Menschen sagen, dass sie in ihrem bisherigen Nachdenken über Gott völlig falsch liegen und jetzt bei Null anfangen müssen, um auf die richtige Spur zu kommen.

Das mag in manchen Situationen auch notwendig sein, aber es ist nicht die Predigt des Apostels Paulus in Athen. Hier sagt er: ihr kennt Gott bereits, vielleicht unbewusst, vielleicht nicht ganz auf dem richtigen Weg, aber ihr kennt ihn. Ihr habt sogar einen Altar für ihn gebaut.  

Wir erfahren zwar im ersten Satz, dass er „ergrimmt“ war über die vielen Götzenbilder, die er in Athen sah. Aber er nimmt diesen Grimm zurück und spricht ganz ruhig über den Gott, den er an diesem Ort findet und für den es hier bereits einen Altar gibt. 

Ich habe mich in der Vorbereitung für heute gefragt, ob ich das auch hier an diesem Ort als eine gute Nachricht wiederholen kann, wir alle haben bereits einen Altar für Gott gebaut. Kann man das sagen?
 

Die Altäre bei uns 

Ich will für meine Antwort etwas ausholen: wir können uns sicherlich darüber einig werden, dass jeder von uns ganz allgemein Altäre in seinem Herzen hat und dass darauf Dinge stehen, die wir besonders verehren und für besonders wichtig halten. 

Ich kann mir gut vorstellen, dass in den meisten von uns ein Altar ist, auf dem ein Stück von dem bewahrt wird, was wir unser Zuhause nennen, der Punkt, an den wir zurückkehren können, wenn die Zeit hier in Lüttringhausen zu Ende ist. 

Ich glaube, dass es auch einen Altar in jedem von uns gibt, wo ein Stück von dem gezeigt wird, was unsere Selbstachtung ausmacht. Der Altar unserer eigenen Besonderheit, Einzigartigkeit und Anständigkeit, der Altar für das, was wir besonders gut können. Es ist wichtig, einen solchen Altar zu haben, damit man sich wie man sagt, noch morgens im Spiegel ansehen kann.  

Manchmal gehören ganz kleine, nebensächliche Dinge auf diesen Altar der Selbstachtung. Ich bin von Beruf Wohnungsverwalter und habe viel mit Handwerkern zu tun. Die allermeisten von ihnen können Dinge in ihrem jeweiligen Handwerksberuf, die ich persönlich nicht kann und die ich bewundere. Vor ein paar Tagen hat ein Elektriker in meinem Büro ein neues Telefonkabel verlegt und hat Wege durch Mauern und durch leere Schächte gefunden, auf die ich nie gekommen wäre. Am Ende hat er in einer sehr wirren Steckdose mit vielen kleinen dünnen Kabeln Ordnung geschafft und den Anschluss ordentlich verlegt. Wenn ich nicht wüsste, dass ich meine eigene Arbeit auch nicht schlecht mache, wäre ich auf diesen Elektriker neidisch.

Wir haben in unseren Herzen auch Altäre für die großen Gedanken und Ideologien, die wir verehren. Auch das gehört zum Leben und ist ebenfalls wichtig. Ich habe in meinem Leben sehr viele anständige Leute kennengelernt, die entweder politisch recht weit links oder recht weit rechts standen. Ich habe mich nie dafür entscheiden können, die eine oder andere Richtung in Grund und Boden zu verdammen. Ich finde es gut, dass Menschen von ganzem Herzen von einer Sache überzeugt sind.  

Auch Schalke-Anhänger finde ich gut, ich habe einen Arbeitskollegen der tief gläubig ist, was die Königsblauen betrifft. Ein Neffe von mir hat die gleiche Liebe für Mönchengladbach, mein Sohn für den BVB. Alles das ist gut und erwärmt das Herz, wenn man es nicht übertreibt. 

Der eine Altar für Gott  

Altäre in unseren Herzen - und da soll es dann also auch einen für den wirklichen Gott geben, nicht den Fußballgott und auch nicht den Weltanschauungsgott, sondern den Gott, der Himmel und Erde gemacht hat. Gibt es einen solchen Altar, heute noch, und hier?  

Paulus hat damals gesagt: ja, diesen Altar gibt es bei euch, ihr habt eine Ahnung von diesem Gott. Wie könnte diese Ahnung heute unter uns aussehen?  

Hier möchte ich zwei Gedanken einfügen, die ich nicht aus der Bibel habe, sondern aus dem Buch eines modernen Philosophen. Er hat in einer eigentlich sehr atheistischen Umwelt darüber geschrieben, warum auch ein moderner Philosoph an Gott glauben kann, ja, was ihn geradezu dazu bringt an Gott zu glauben. 

Ich habe sein Buch mit großer Freude gelesen und war dann stolz und aufgeregt, als er vor einigen Wochen in Köln gesprochen hat, Charles Taylor, ein 84 jähriger Kanadier, ein weiser Mann. Er hat sehr langsam gesprochen, weil er die deutsche Sprache nur mühevoll beherrscht. Aber gerade in dem was er langsam gesagt hat, kamen zwei Ausgangspunkte deutlich heraus, von denen her ein Mensch unserer Zeit an Gott glauben kann. 

Mehr als die sichtbare Welt
 
Der erste Punkt hat mit unserem Vorstellungsvermögen zu tun. Der Philosoph sprach davon, dass wir Menschen immer wieder einmal an einen Punkt kommen, wo wir daran zweifeln, dass nur das Wirklichkeit ist, was wir unmittelbar vor Augen sehen und mit den Händen greifen können. Es gibt eine Wirklichkeit hinter der sichtbaren Welt. Dieses Gefühl befällt uns auf unterschiedliche Weise an der einen oder anderen Stelle in unserem Leben. 

Es gibt ein Leben hinter dem, was wir vor unseren Augen sehen. Das ist ein Satz, der hier im Gefängnis gesprochen eigentlich sehr einleuchtend klingt, weil hier jeder weiß, dass es noch ein anderes Leben hinter den Mauern gibt. Aber auch hinter der Realität, die sich draußen zeigt, scheint immer wieder eine andere Realität auf, die wir nicht unmittelbar erfassen können, die uns aber offenbar umgibt. Die Erfahrung dieser Realität führt uns zu einer einfachen, natürlichen Form von Glauben. Das ist der eine Punkt. 

Mehr als das, was wir von uns selbst erwarten 

Der andere Punkt ist unsere Unzufriedenheit mit dem, wie wir uns selbst beurteilen. Der Philosoph in Köln wurde interviewt von einem anderen Philosophen, der in Bezug auf den Glauben kritisch war, und der hat ihn gefragt, wieso denn z.B. ein Atheist an Gott glauben sollte, der glücklich ist und mit Frau und zwei Kindern im Einfamilienhaus im Grünen lebt. Der Philosoph sagte: er wird Momente erleben, wo er sich selbst ansieht und sich sagt, dass er mit dem nicht zufrieden sein kann, was er in Bezug auf seine eigenen Ideale und Pläne und Vorsätze erreicht hat.  

Wir Menschen leben immer wieder an dem vorbei, was wir uns für uns selbst als Ideal vorgenommen haben. Und unsere Unzufriedenheit ist es, die uns nach Gott fragen lässt. 

Zusammengefasst also die Gedanken von Charles Taylor: zu Gott führt uns einerseits das Gefühl, dass die sichtbare Wirklichkeit nicht alles sein kann, und andererseits das Gefühl, dass wir unseren eigenen Maßstäben am Ende niemals gerecht werden können. 

An unserem Altar weiterbauen 

Wenn wir uns das eingestehen, können wir an dem Altar weiterbauen, der dem unbekannten Gott gewidmet ist. Wir können uns gedanklich dafür öffnen, dass in der Welt hinter den sichtbaren Dingen tatsächlich etwas ist, und nicht nur etwas, sondern eine persönliche Wärme, eine große Liebe, die zu uns herüberkommt. Dort wohnt Gott, der die Welt geschaffen und sie dann nicht alleine gelassen hat und der weiterhin eine Beziehung zu uns Menschen haben will und sogar sagt: ich habe dich lieb. 

Er sagt es uns durch Jesus, den Mann aus Israel, dessen Andenken damals, als Paulus in Athen zu den Philosophen sprach, noch ganz neu und lebendig war. Jesus hat Gottes Liebe verkörpert, hat sie bis an ihre äußersten Grenzen ausgelebt, indem er sein Leben für seine Freunde gab. 

Und durch Jesus sagt Gott: in Bezug auf alles das, was dir in deinem Leben nicht gelungen ist, wo du hinter deinen eigenen Wünschen und Idealen und Vorsätzen zurückgeblieben bist, in Bezug auf alles das habe ich dir vergeben, Ich messe dich nicht an den hohen Maßstäben, die du an dich selbst anlegst. Ich weiß, dass du ein Mensch bist, Menschen machen Fehler, und es ist mein fester Wille, die Menschen mit allen ihren Fehlern zu lieben.

Das wäre also ein Altar für Gott, nicht für den unbekannten Gott, sondern für den mehr und mehr bekannten und uns vertrauten Gott. Es ist ein Altar, den jeder von uns auf seine ganz persönliche Art und Weise pflegen kann. Wir können ihn schmücken, wir können Gegenstände auf diesen Altar bringen, die unsere Verehrung für Gott deutlich machen, die uns die Möglichkeit eröffnen ihm näher zu kommen.

Der Altar ist ja auch ein Punkt, wo man ganz selbstverständlich betet. Wir wollen das gleich tun, wollen ein Gebet sprechen, zusammen das Vaterunser beten, und wir können uns gegenseitig versprechen, wenn wir auseinandergehen, dass es in unseren Herzen weiter betet, dass wir das Gespräch mit dem Gott unseres ganz persönlichen Herzensaltars weiter suchen.
Im Hintergrund die Gefängnismauer und
die Fassade der Gefängniskirche

Wir können beten, wo immer wir sind. Und wir dürfen glauben, dass Gott hört.

Amen.

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