Sonntag, 29. März 2015

Mallorca-Wanderungen (I): Weiß der Geier



Am Eingang des Wegenetzes, das die auf ihrer Nordseite steil zum Meer abfallende Hochebene des Pla des Pouet erschließt, steht ein hölzernes Wachhäuschen. Vor ihm stehend erwarten uns zwei oliv gekleidete Männer, die ich zunächst für Soldaten halte. Hablas alemán? fragt der erste, ein Mann mit einem schwarzen Bart, und als wir bejahen, weist er uns mit einer kurzen Kopfbewegung weiter zu seinem blonden Kollegen. Der ist ein freundlicher Bayer, der uns kurz über sein Anliegen informiert: man will einen Teil des Wandergebietes weitestgehend von Menschen freihalten und dadurch den Lebensraum des Mönchsgeiers vergrößern. Voltor steht auf einem Plakat im Wachhäuschen, voltor negre heißt dieser Geier im Catalanischen, im Spanischen buitre negro.   


Den Wanderern, die hier entlang kommen, wird ein Umweg empfohlen, der das für den Geier reservierte Gebiet umgeht. Wir lassen uns den anderen Weg erklären und sagen zu, uns nur auf diesem zu bewegen. Der junge Mann dankt uns und trägt uns in eine Liste ein, in der wir als aus Valldemossa aufsteigende Deutsche gekennzeichnet werden. Es gibt noch eine Reihe von weiteren Spalten, in denen - so vermute ich - unsere Reaktion zwischen 1 "aufgeschlossen" und 5 "verstockt" eingetragen wird.

Auf halber Höhe zum Plateau steht an der Stelle, die man uns angewiesen hat, ein weiterer Naturschützer und versucht, die Menschen, die trotz seiner Informationen in das geschützte Gebiet eindringen wollen, von ihrem Vorhaben abzubringen. Ein junges spanisches Paar hält sich nicht an die Ermahnungen und geht nach links, wo wir nach rechts abbiegen. Es wird jetzt wahrscheinlich in der Liste als 5 "verstockt" eingetragen.

Der Aufstieg zum Hochplateau ist ein wenig mühsam, es geht über ähnlich steinige Wege wie in den Alpen, aber das silber und grün schillernde Licht in den Olivenhainen und dann am Ende der Ausblick auf die steile Nordküste lohnt alle Mühen.

Teile des Weges gehen auf einen alten Reitweg zurück, den ein Vetter des letzten österreichischen Kaisers, der Erzherzog Ludwig Salvator (1915 gestorben) hier anlegen ließ. Dieser etwas exzentrische "Arxiduc" wird zwischen Valldemossa und Sóller bis heute verehrt, sein Rundweg in der Hochebene heißt nach ihm der Cami de S'Arxiduc.

Der Umweg zu Gunsten des Mönchsgeiers wird dadurch belohnt, dass wir an der Eremitage Cova s’ Ermita Guiem vorbei geführt werden. Sie besteht aus einigen rohen Mauern ohne Dach, in denen sich der Eingang zu einer größeren Höhle befindet. Überraschenderweise wird sie bewohnt, man sieht Bücher, einen Tisch, eine Reihe von Heiligenbildern und auch eine Lagerstatt, auf der sich alte, schäbige Matratzen befinden. Über dieser Bettstelle ist eine Art Dachrinne aus Plastik angebracht, die das aus den Felsen abtropfende Wasser vom Bett entfernt hält.

Hier wird man an die Einsiedlerfiguren aus dem Geschichten Tolstois erinnert und kann sich vorstellen, wie Tolstoi persönlich den Starez Sergej in dessen Höhle aufsucht, um von ihm endlich eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens zu bekommen. Der Starez - so male ich es mir aus - kennt die Antwort auch nicht und murmelt nur etwas von sich die Weiber vom Leib halten, was Tolstoi mit einer unwirschen Handbewegung abweist.

Von der Spitze des Berges maile ich einer Facebook-Freundin aus Gaza, Majd Al Waheidi, die für die New York Times schreibt, ein Foto von Meer und Bergen. Sie verfolgt meine Reise auf Facebook und hat mir geschrieben, sie habe in ihrem Leben noch nie einen Berg gesehen. Der Grund ist, dass sie noch nicht aus Gaza herausgekommen ist, und das Land so flach ist wie Holland.

Ich mache ihr Mut: diese über das Internet vernetzte Welt wird es nicht dulden, dass einzelne Mitglieder von der Freude ausgeschlossen werden, einen Berg zu besteigen, geschweige denn, einen zu sehen.

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