Dienstag, 29. Juli 2014

Hand und Name

Eins der bewegendsten Bilder, die ich im Zusammenhang mit den Toten der letzten Wochen sah, war der lange, geordnete Zug der schwarzen holländischen Leichenwagen, der die Toten des Abschusses in der Ukraine vom Flugplatz Eindhoven nach Hilversum brachte. Zuvor waren sie aus zwei Transportmaschinen der Luftwaffe Australiens und der Niederlande mit militärischen Ehren in ihren Särgen herausgetragen und zu den Wagen gebracht worden – Särge, mit noch nicht identifizierten Toten darin. Erst nach DNA-Untersuchungen in Hilversum wird nach und nach bekannt werden, wer in den Särgen liegt, so dass man die Toten an ihrem endgültigen Ort begraben kann.

Die New York Times hat die Lebensläufe und Fotos vieler Opfer dieser Katastrophe gesammelt. Das nicht fassbare Leid bekommt Gesichter und Namen.

„Eine Hand (yad) und einen Namen (schem) im Tempel“ verspricht der Prophet Jesaja (Kapitel 56,5) in einem neuen Zeitalter einer Gruppe von zuvor unbeachteten Menschen. Israel hat dieses Wort zum Motto seiner Gedenkstätte Yad Vashem gemacht und dort versucht, in einer gewaltigen Aufarbeitung der Geschichte jedem einzelnen der 6.000.000 ermordeten Juden nicht nur eine Identität sondern wenn irgend möglich auch eine Akte zu geben, Erinnerungen an sein Leben, persönliche Daten. Eine Hand, ein Hand- oder Hinweiszeichen, ein Name. Die Arbeit ist lange nicht vollendet und wird es wohl nie werden. Aber allein der Versuch gibt jedem Toten ein Stück seiner Menschenwürde zurück.
Auch die Israelis betrauern ihre Toten, 56 bis zum heutigen Tag, nach der Zählung der New York Times. Ihre Namen werden in den Zeitungen veröffentlicht, über ihre würdevollen Beerdigungen wird in den Medien berichtet, auch das ist sehr bewegend.
Was geschieht mit den Toten von Gaza? 1.202 sind es bis heute, sagt die New York Times. Ihre Namen erfährt man gelegentlich auch, es geschieht offenbar dann, wenn ein Journalist nach ihnen fragt, um auch den Tod auf dieser Seite des Krieges ein wenig persönlich erscheinen zu lassen. Aber einen Ort, wo man ihrer gedenkt, werden wohl nur wenige von ihnen bekommen. Man sieht Bilder vom eiligen Herrichten der Gräber, manchmal mitten in den Trümmern. Auf den Gräbern befinden sich Pappschilder, die der nächste Regen wegwaschen wird. Sie sind der einzige Hinweis auf den Menschen, der hier liegt.
Die bekannte israelische Zeitung Haaretz berichtet, dass es einer israelischen Menschenrechtsorganisation nicht erlaubt wurde, einen Radiobeitrag zu senden, in dem die Namen von fünf getöteten Kindern aus Gaza erwähnt werden sollten. Die Radio- und Fernsehbehörde hat den Beitrag untersagt, weil er „ideologisch kontrovers in der Öffentlichkeit“ wirke. Man kann seinen Feind auch dadurch besiegen, dass man ihn namenlos macht.
In der weiten Welt werden die Bilder aus Holland, Israel und Gaza jeden Menschen vor die Frage stellen, auf welche Seite des Spektrums ihn seine Beerdigung eines Tages stellen wird. Namenlos verscharrt oder mit einem festen Hinweis und einem in Stein geschriebenen Namen versehen? Die Menschen, für die es keine Hand und keinen Namen gibt, werden es mit Bitterkeit ansehen.

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