Samstag, 7. September 2013

Ideale Landschaften


  
Ala Daglar bei Pozanti
Kaum ein anderes Gebiet der Welt hat wohl so viele Völker durchziehen sehen wie Kleinasien, die heutige Türkei. Die Perser im Sturm nach Westen und später Alexander der Große in Gegenrichtung, dann die Römer, die Byzantiner, die Araber, die Kreuzritter und in den letzten 1.000 Jahren schließlich die aus Zentralasien einströmenden und den Hauptteil der heutigen Bevölkerung ausmachenden türkischen Stämme. Es fällt an vielen Orten leicht, sich die durchziehenden Heereszüge vorzustellen, Platz für sie ist überall genug.

Was hat sich den vielen Menschen von diesem Land eingeprägt, von den Hochflächen Zentralanatoliens mit ihren weiten Tälern und sanften, mächtigen Bergen, was haben sie von der angrenzenden blauen Gebirgskette des Taurus mitgenommen und vielleicht als eine idealtypische Landschaft verstanden, die anders aussieht, als alle anderen Landschaften in der Welt? Mir scheint, dass man von hier Bilder von dem mitnehmen kann, was recht eigentlich ein Berg ist, eine Hochfläche, ein weites Tal.
In Mittelanatolien stehen die Berge nicht so dicht wie etwa in den Alpen und den deutschen Mittelgebirgen, die Täler geben mehr Raum und erlauben es, auf bequemen Straßen in Sichtweite der Berge zu fahren, ohne beständig Pässe überqueren zu müssen. Der Erciyes (3.917 m) steht frei und weithin sichtbar im Land, in den Alpen würde er Reinhold Messmers „König Ortler“ (3.905 m) knapp überragen, nur dass man letzteren nicht schon von München aus sehen kann. An der Bergkette der „Ala Daglar“ südlich des Erciyes, die ebenfalls an die 3.800 m reichen, führt eine lange, wenig kurvenreiche Talstraße entlang, auf der man die gewaltigen Berge beständig gut sichtbar im seitlichen Autofenster hat. 
Burg Tokmar bei Silifke am Mittelmeer
Das von mir beschworene Idealtypische dieser Landschaften wird besonders dort deutlich, wo der Mensch in sie eingegriffen und an markanten Stellen Gebäude errichtet hat. Ein Berg wird dadurch noch einmal in einem besonderen Sinne ein Berg, dass er auf seiner Spitze die Krone einer Burg trägt. Und wenn sich diese Burg dann so perfekt in das Gelände einfügt wie die selbst als Ruine noch wunderbar harmonische mittelalterliche Burg Tokmar über einem Mittelmeerhafen bei Silifke, und wenn Bäume vor ihrer Mauer wachsen, unter denen Schafe und Ziegen weiden, so entsteht um sie herum ein kleiner Zauber.

Burg Lambron (türkisch Namrun) in der Nähe der kilikischen Pforte
Dagegen ist die Burg Lambron / Namrun in der Nähe der kilikischen Pforte so mit dem schroffen Felsen, auf dem sie steht, verwachsen, dass man zweimal hinsehen muss, um Gebäude (mit türkischer Fahne) und Reste der Mauern zu erkennen. Sie wirkt solitär, abweisend und uneinnehmbar, heute würde man sagen: nur für Alpinisten erreichbar. Wir fanden den Weg zu ihr hinauf aber überraschend einfach und an keiner Stelle wirklich gefährlich.
Trotzdem wundert es mich jetzt, beim Betrachten der Bilder, dass ich tatsächlich nur wenige Meter von der Fahne entfernt gestanden habe, die vom Burgberg herunter hängt (ich kann es aber beweisen). Vielleicht hätte Alexander der Große ebenfalls bestätigen können, dass man in der Regel bequem zur Burg gelangt – wenn man mit dem Burgherrn nicht im Krieg lebt – und dass man von dort einen gewaltigen Blick in den Taurus tun kann.
 
 

Keine Kommentare: