Donnerstag, 29. August 2013

Ein alter kappadokischer Heiliger mit modernen Problemen


Uçhisar, Kappadokıen

Über die Mondlandschaft der Tuffsteinfelsen hier im kappadokischen Hochland ist vor vielen hundert Jahren auch der heilige Gregor gewandelt. Er wurde um 330 in der Nähe der heutigen Stadt Aksaray geboren und hat im nahen Kayseri, das damals Caesarea hieß, studiert. Später wurde er ein einflussreicher aber nicht glücklicher Bischof in Konstantinopel.
Welche Probleme haben seinem Glück im Weg gestanden? Meine eigenen Probleme, seine Reden zu lesen und zu verstehen, hatte ich bereits früher geschildert. Jetzt habe ich in einem Kommentar gelesen, dass sie in gewisser Weise gleichlaufend sind. Es sind nicht die Probleme meines Verstehens, sondern eigentlich die Probleme des ganzen Lebens von Gregor von Nazianz.
Die eigenartige Diskrepanz zwischen seiner tiefen Frömmigkeit und seiner weltläufigen, mir übertrieben erscheinenden Rhetorik hat ihn selbst am allermeisten gequält. Er hatte bei seinem Studium in Athen die Hochkultur der Griechen und Römer kennen gelernt. Er war dort mit der ganzen Raffinesse der künstlerischen Ausdrucksformen einer lebendigen Hochkultur bekannt gemacht worden. Das zentrale Studienfach Rhetorik, in dem er eine hochklassige Ausbildung bekam, diente damals offenbar der Gesamtheit der Kommunikation. Es ging um alles, was man über Wissenschaft, Kunst und Lebensphilosophie an Wissen vermitteln konnte.
Rhetorik war sehr viel mehr als nur die Redegewandtheit bei öffentlichen Auftritten. Rhetorik war die ganze Kunst, andere Menschen zu beeinflussen, und zwar so, dass sie in der Lage waren, in den Idealen der damaligen Philosophie zu leben und sich anleiten lassen, jederzeit das Gute und Richtige zu tun.
Von diesen Idealen hatte sich Gregor innerlich abgekehrt. Er hatte aus den langen kirchlichen Diskussionen der damaligen Zeit, welcher Natur Jesus gewesen war (Gott ähnlich oder Gott gleich) für sich persönlich eine generelle Erkenntnis über die Ähnlichkeit eines jeden Menschen mit Gott gewonnen. Ihm war klar geworden, dass der Mensch sich nur über die Annäherung an den ihm verwandten Gott dazu bringen könne, jederzeit das Gute und Richtige zu tun. Gregor hatte damit einen neuen Zugang zu einer neuen „Pädagogik“ bekommen. In der Tat sprachen die Griechen von „paida“  als Weg der Erkenntnis und Erziehung. 
Für Gregor konnte diese Pädagogik nur aus der Erkenntnis der Ähnlichkeit mit Gott kommen. Der Mensch musste Gott imitieren und musste sich ihm dazu annähern. Diese Annäherung wollte Gregor dadurch erreichen, dass er in die Einsamkeit der Flüsse und Wälder in der Nähe der Schwarzmeerküste zog und Gott in der Stille und in der Askese suchte. Gleichzeitig war ihm bewusst, dass seine ganze vornehme Ausbildung verbunden mit seinem großen Talent, auf sozusagen klassische Weise, nämlich "rhetorisch" Einfluss auf andere Menschen auszuüben, ihn zu einem Mann im Dienst der Kirche machte.
Ich glaube, dass dieses Problem, das Schwanken zwischen dem Talent, andere Menschen zu führen und dem tieferen Willen, die Einsamkeit zu suchen und Gott zu finden, auch heute in vielen Menschen vorhanden ist, vielleicht in mehr Menschen als man das vielleicht annehmen möchte.
Mir erzählte neulich ein Freund, dass auf einem Seminar über spirituelle Erfahrungen, bei dem etwa die Hälfte der Teilnehmer Mediziner und Pastoren, die andere Hälfte dagegen Geschäftsleute waren, gerade die Leute aus der Wirtschaft die meisten neue Impulse zur Wiederentdeckung alter Mystiker mitbrachten.
Vielleicht wird es in Zukunft mehr und mehr solche Menschen geben, die beide Neigungen - ich sage es abgekürzt: zum Management und zur Mystik - in sich selbst entdecken und beide auch verwirklichen wollen. Man kann nur hoffen, dass sie mit der Versöhnung der beiden Bereiche mehr Glück haben als Gregor. Sein lebenslanges Ringen ist nach allem was man weiß nicht zu einem befriedigenden Ende gekommen. Aber man hat ihn für seine offene Redeweise offenbar geliebt und seinen Gedanken einen wichtigen Platz in der Kirche gegeben.

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