Sonntag, 9. September 2012

Bei Erich


Drewitz, 9. September 2012
Im Eingang zum riesigen Jagdhaus Honeckers am Drewitzer See, das zu einem Hotel und zum Zentrum einer Bungalow- und Ferienanlage umgebaut wurde, steht eine bäuerliche Pferdekutsche mit einem Messingschild, das auf den früheren Eigentümer, den „Staatsrats Vorsitzenden“ hinweist. Schulkinder, die heute mit ihren Eltern hier Ferien machen, und im Restaurant nobel aber zu erschwinglichen Preisen zu Abend essen oder Kaffee und Kuchen auf der Terrasse über dem blauen See einnehmen, werden sich unter diesem Besitzer einen Mann vorstellen, der vor 200 Jahren hier durch die Wälder gefahren ist und auf Hirsche geschossen hat, möglicherweise mit Pfeil und Bogen. Für mich als im Gründungsjahr der DDR geborenen Westler, der die alten Kommunisten der DDR für Leute gehalten hat, die in der Küche an der bescheidenen Wachstuchtischdecke ihr schlichtes Butterbrot gegessen haben, ist Honeckers gut 35 m langer reedgedeckter Bau überraschend prächtig, auch wenn das Innere, in dem große Teile der Honecker-Einrichtung offenbar unverändert gelassen wurden, eher bieder und so langweilig wirkt, wie es in meiner Erinnerung die alte DDR überall war.  




Der Stasi-Chef Mielke („Ich liebe doch alle!“) hat Honecker das Gebäude 1982 zum 70ten Geburtstag geschenkt, so wird berichtet. Woher er das Geld nahm, hat er nicht öffentlich bekannt gemacht.
Auf unserem Campingplatz wurde ich vor ein paar Tagen Zeuge eines Gespräches zwischen zwei Einheimischen, die die Meinung vertraten, das Jagdhaus sei eher bescheiden gewesen. Jeder größere westdeutsche Industrielle habe ähnliche Häuser als zweiten Wohnsitz, wurde geäußert. Ich habe nichts dazu gesagt, bin aber heute das Gebäude abgeschritten. Es mißt etwa 35 m, das Gebäude ist durchgängig 12 m tief, der heute als Restaurant genutzte Seitenflügel dürfte nochmal weitere 12 m messen. Selbst wenn Axel Springer so etwas auf Sylt gehabt haben sollte, was ich bezweifle – mein Neid hätte sich in Grenzen gehalten, weil Springer im Gegensatz zu Honecker über nichts verfügte, was sich ein normaler westdeutscher Bürger nicht in kleiner Form ebenfalls beschaffen konnte. Dagegen gab es den französischen Cognac, den Honecker hier trank, für einen Ostbürger nicht einmal in einer schlichten Coop-Variante zu kaufen.
In Malchow erzählen uns andere Einheimische, Honeckers Jagden hätten bei Nacht stattgefunden, man habe mit Scheinwerfern das Wild geblendet und dann auf die reglos verharrenden Tiere geschossen. „Angebunden waren die!“ sagt einer und fügt hinzu, dass er noch nie im nahen Drewitz war. „Da  krieg ich nur die Wut.“ Verstehen kann ich den Mann.

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