Sonntag, 5. August 2012

Beach Boys - Wege zur Unsterblichkeit






Die Frage nach der Unsterblichkeit ist im Konzert von Anfang an gegenwärtig, am Freitagabend in der Berliner O2-World. Zunächst ist da die Unsterblichkeit der Zuhörer - in der Mehrzahl Vertreter meiner eigenen Nachkriegsgeneration, die sich nochmals vergewissern wollen, dass das alte Surfer-Lebensgefühl noch da ist. Ja, es ist noch da, am Besteigen eines Surfbrettes hindert uns nur der Umstand, dass die Gemahlin den Urlaub in Berchtesgaden gebucht hat statt am Atlantik, und eins der vielbesungenen braunen Surfer Girls für sich zu gewinnen, das wird ebenfalls noch gehen, nach zwei Strophen "Help me Rhonda" wird sie uns in die Arme sinken, das ist sicher. In dieser Gewissheit ewiger Jugend singen und tanzen meine Altersgenossen und schwenken Lichter. Unsere Jugend kann uns keiner nehmen.


Wir werden ja alle immer älter, das ist ein Naturgesetz, und wenn Brian Wilson noch mit 70 Kraft für einen Auftritt von fast drei Stunden hat, dann ahnen wir selig, was wir als seine Altersgenossen noch mit 75 und 80 zu leisten in der Lage sein werden. Der Tod ist keine Grenze mehr, ob er überhaupt je kommen wird?

Die Beach Boys haben ihren eigenen Weg in die Unsterblichkeit noch feiner geplant. Sie sind dabei, sozusagen als "Weltkulturerbe" anerkannt zu werden. Sie stehen an der Stelle, an der Beethoven stand, als er sich anschickte, ein "Klassiker" zu werden. Wenn man den gewaltigen orchestralen Sound des jetzt neu aufgenommenen "That's Why God Made The Radio" hört, bekommt man eine Ahnung von zukünftigen Aufführungen des Gesamtwerkes der Beach Boys auf den Konzertbühnen der Welt. Auch die anderen Stücke sind umgeschrieben und für großes Orchester arrangiert worden. Statt der kleinen Gruppe von fünf oder sechs sparsam elektrisch verstärkten Musikern der 60er Jahre stehen heute 14 Musiker vor lastwagenweise angekarrten Lautsprechern und Verstärkern und ersetzen den früher einmal eher kammermusikalischen Sound aus kalifornischen Strandbars durch das Geräusch eines startenden Flugzeugs. Dies ist die finale Version der vor 50 Jahren entstandenen Musik, und so, wie sie heute gespielt wird, kann sie auch in den nächsten 200 Jahren aufgeführt und in den Kodex des Welt-Musikbetriebs aufgenommen werden.

Dazu hilft, dass alle Tonspuren zur Sicherheit auch als Konserve vorhanden sind, die parallel zum Life-Auftritt mitläuft. Sie können einzeln hochgefahren werden, wenn einer der Musiker schwächelt. Die Aufführung von Freitag kann also jederzeit und überall wiederholt werden, man muss nur lippensynchron mitsingen oder -musizieren. Das ist digitale Unsterblichkeit.

Ich bin von der ersten Minute an begeistert. Ein paar Takte Musik der jungen Begleitmusiker, und schon sind die fünf Herren aus der Urzeit der Band auf der Bühne - drei aus dem Team der ersten Fünf (Brian Wilson, Mike Love und Al Jardine, die beiden anderen Wilsons leben nicht mehr) und zwei, die bereits in den wechselnden Formationen der ersten Jahre mitgespielt haben (David Marks und Bruce Johnston). "Do It Again" ist der erste Titel, und alles ist wieder da, die Kopfstimmen, der chorische Gesang, das obligatorische Tamburin, das charakteristische Schlagzeug, das vertraute Doob-Dee-Doo. Weil jetzt aber 14 Leute statt der ursprünglichen Fünf spielen und die Verstärkungstechnik überwältigend ist, klingt alles wie großes Orchester, ich sagte es schon.

45 Lieder spielen sie (hat die Berliner Morgenpost mitgezählt), und kein Klassiker wird ausgelassen, weder das filigrane Studio-Produkt "Good Vibrations" noch das eher beiläufig entstandene, im Original heiter fehlerhafte "Barbara Ann". Und mehr und mehr pflanzt sich die Seligkeit des endlosen Jugend-Sommers auf die alten Leutchen links und rechts neben mir fort. We'll gonna be forever young.

Am Ende locken mich meine Töchter (ja, auch junge Leute sind im Saal) mit vorne zum Rand der Bühne, wo ganz mutige tanzen und singen. Ich erkenne jetzt, aus der Nähe, erstmals das wahre Alter der Akteure und sehe im versteinerten Gesicht des eigentlichen Kopfes der Band, Brian Wilson, den hohen psychischen Preis, den dieser für die Arbeit am Traum von ewiger Jugend bezahlt hat.

Nein, ewige Jugend gibt es nicht, und unser Leben geht einem Ende entgegen, das jeder von uns sehen wird. Ich will an dieser Stelle nicht predigen, aber doch sagen: es gibt eine Anschauung von ewigem, unzerstörbaren Leben, die mehr ist als "Do It Again".

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