Montag, 25. Juni 2012

Zehn Bibelworte für Muslime (VI)




Abrahams Problem
Es kam aber eine Hungersnot in das Land. Da zog Abram hinab nach Ägypten.
1. Mose 12,10

Mit der Geschichte von Abrahams Problem, das er durch Verrat löst, wage ich mich an eine Bruchstelle, an der sich das christliche und das muslimische Verständnis von dem, was ein Prophet ist, scheiden. Muslime sehen in einem Propheten einen Menschen, der Gottes Botschaft nicht nur sagt, sondern auch verkörpert. Deshalb muss er in einem hohen Maße von Sünde frei sein, einem Maße, das ich noch nicht ganz verstanden habe, das aber die Maßstäbe der Christen sicherlich sprengt.





Anders als der Koran berichtet die Bibel von den Propheten nicht als von unfehlbaren Menschen. Ich erzähle die folgende Geschichte einmal in der Hoffnung nach, dass deutlich wird wie auch ein sündigender Prophet eine verständliche Botschaft übermitteln kann. Gott hält sozusagen durch seine Sünde hindurch zu ihm und lässt seine Botschaft vielleicht sogar in der Sünde seines Boten deutlicher aufscheinen als in einem sündlosen Leben.

Die Geschichte ist sehr lebendig, man kann sie in 1. Mose 12* nachlesen. Abraham zieht aufgrund einer Hungersnot aus dem dürren, von Wüsten durchzogenen Land, das heute Israel heißt, hinunter in die fruchtbaren Niederungen des Nils. Dort unten in Ägypten teilt er das Schicksal, das über viele Jahrhunderte auch das Schicksal seiner Nachkommen sein wird und heute das Schicksal der halben Weltbevölkerung ist: er muss sich als Migrant in einem fremden Land durchschlagen. Das Alte Testament hat für das Leben der Menschen mit Migrationshintergrund ein eigenes Verb: sie guren, sie tun etwas, was über die Zeiten immer wieder in derselben Weise getan wird, nämlich sich als Ger, als Migrant, in der Fremde zu verdingen.

Es wird nicht erzählt, auf welche Art und Weise dies bei Abraham geschah. Möglicherweise hat Abraham mit seinem beträchtlichen Reichtum Handel getrieben, um Getreide zu erwerben, vermutlich hat er Vieh verkauft oder auch Wertgegenstände, Gold und Silber. Er musste dafür sein Leben als frei umherziehender Nomade mit der Sesshaftigkeit eines Städters eintauschen und kam als solcher zusammen mit seinem Hofstaat aus Frauen, Kindern, Knechten und Mägden zwangsläufig unter die Beobachtung der städtischen Ägypter.

Unter ihnen wird nun dem angesehenen Viehzüchter aus der kanaanitischen Wüste ein an sich vorteilhaftes Kapital zur Gefahr: die Schönheit seiner Frau. Um seine eigene Haut zu retten, fasst Abraham deshalb den anrüchigen Plan, sie zur Heirat in Ägypten freizugeben. Dafür verleugnet er sie als seine Frau und gibt sie als seine Schwester aus.

Der Plan gelingt, Sara wird dem Harem des Pharao zugeteilt, aber dieser wird der fremden Schönheit nicht froh, denn zusammen mit ihrem Einzug in sein Haus ziehen auch allerlei Plagen und Krankheiten mit ein. Ein Unsegen folgt ihr, fast möchte man sagen: es ist wie verhext. Der Pharao wird misstrauisch, er kennt die Macht der Götter, wenn man nicht ihren Wegen folgt, und stellt bald fest, dass er die verheiratete Frau eines Hebräers in seinen Harem aufgenommen hat.

Er stellt Abraham zur Rede und schickt ihn zu seiner, des Pharao Entlastung mit reicher Beute wieder nachhause. Alles geschehe – nur, dass der Fluch von seinem Haus wieder getilgt wird!

An dieser Geschichte lassen sich wie an einem Faden, den man in Zuckerwasser taucht, die Kristalle einer ewigen Erzählung von Glanz und Elend der Migration festmachen. Die unverschuldete Not, aus der heraus man auswandern muss, die beständige Sorge um das Überleben am fremden Ort und als alte heilige Bild all des Schönen, das man aus seiner Heimat mitgebracht hat und nicht verlieren will, hier eingefangen in der Schönheit der eigenen Frau.

Aber dann der Verrat! Ich vermute, dass ich ihn nur halb verstehe. Ich säße deshalb gerne einmal unter den Nachkommen Abrahams, 100 Jahren nach seinem Tod, und hörte darauf, wie sie die Geschichte von Abraham in Ägypten erzählen. Ich vermute, dass in ihren Worten keinerlei Verurteilung für Abraham wäre, eher ein Schulterzucken - was sollte er denn anders machen? Aber dann käme sicherlich das Bekenntnis zu den wunderbaren Wegen und Bewahrungen Gottes im fremden Land, der manchmal selbst die Feigheit und den Betrug seiner Leute dazu nutzt, ihre Geschichte mit ihnen voranzutreiben und zu einem glücklichen Ende zu führen.

Abrahams Botschaft ist die vom bleibenden Segen auf den auserwählten Dienern, die ihr Leben ganz auf Gott gründen. Ihnen gibt Gott seinen Segen – aber die Diener müssen manchmal auch selbst ein wenig Hand anlegen. Bisweilen dürfen sie dabei auch sündigen.


* 1. Mose 12, 10  - 20
Es kam aber eine Hungersnot in das Land. Da zog Abram hinab nach Ägypten, dass er sich dort als ein Fremdling aufhielte; denn der Hunger war groß im Lande. Und als er nahe an Ägypten war, sprach er zu Sarai, seiner Frau: Siehe, ich weiß, dass du eine schöne Frau bist. Wenn dich nun die Ägypter sehen, so werden sie sagen: Das ist seine Frau, und werden mich umbringen und dich leben lassen. So sage doch, du seist meine Schwester, auf dass mir's wohlgehe um deinetwillen und ich am Leben bleibe um deinetwillen. Als nun Abram nach Ägypten kam, sahen die Ägypter, dass seine Frau sehr schön war. Und die Großen des Pharao sahen sie und priesen sie vor ihm. Da wurde sie in das Haus des Pharao gebracht. Und er tat Abram Gutes um ihretwillen; und er bekam Schafe, Rinder, Esel, Knechte und Mägde, Eselinnen und Kamele. Aber der HERR plagte den Pharao und sein Haus mit großen Plagen um Sarais, Abrams Frau, willen. Da rief der Pharao Abram zu sich und sprach zu ihm: Warum hast du mir das angetan? Warum sagtest du mir nicht, dass sie deine Frau ist? Warum sprachst du denn: Sie ist meine Schwester -, so dass ich sie mir zur Frau nahm? Und nun siehe, da hast du deine Frau; nimm sie und zieh hin. Und der Pharao bestellte Leute um seinetwillen, dass sie ihn geleiteten und seine Frau und alles, was er hatte.

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