Sonntag, 18. März 2012

Predigt im Facebook-Gottesdienst

 (Das folgende Video, das ich zu Beginn der Predigt gezeigt habe, wurde in den letzten Wochen über 20 Millionen mal im Internet angeschaut.)






Einleitung
Ich möchte heute einmal davon ausgehen, dass es hier unter uns eine Reihe von Menschen gibt, die den Worten dieses Videos zustimmen, ganz oder teilweise, mit und ohne Fragezeichen, wie auch immer. Mit diesen Leuten möchte ich mich verbünden, möchte für sie und mit ihnen zusammen einen Weg finden, das zu verstärken, was in dem Video richtig ist.

Ich möchte dazu eine Geschichte erzählen, in der deutlich werden soll, was es heißen könnte, dass man unabhängig von jeder Religion Jesus liebt, oder dass man ihm zumindest Sympathie entgegen bringt, und dass man bei ihm den Weg zu einem Glauben finden kann, der nichts zu tun hat mit alten, festgefahrenen Institutionen.
Ich habe einiges nachgelesen und recherchiert, in der Bibel und in Wikipedia, weil ich einige Details erklären und alles zunächst einmal glaubwürdig und lebendig machen will. Die Berichte über Jesus leben davon, dass sie in einer Atmosphäre von historischer Realität stehen, dass es keine Legenden sind, keine Sagen. Mein Pastor hat einmal eine meiner gelegentlichen Predigten kritisiert (wir beide reden sehr offen und freundschaftlich miteinander) und damals so in etwa gesagt: diese Predigt ist zu 95 % Lexikon und nur zu 5 % Predigt. Das hat mich zunächst geärgert, aber dann hat es mich bestärkt, und ich habe mir vorgenommen, genau so zu reden, dass nämlich der überwiegende Teil aus Informationen besteht, die man nicht glauben muss, sondern die man nachprüfen kann. Den Glauben kann ich ohnehin in niemandem erzeugen, deshalb sehe ich es eher als meine Aufgabe an, Informationen zu geben.

Das Gespräch mit der Frau aus Samaria

Die Begebenheit ist als Geschichte der "Frau am Jakobsbrunnen" bekannt. Sie ist aus einer Reihe von Gründen bemerkenswert. Als erstes ist sie in der Bibel der längste zusammenhängende Dialog, den Jesus mit einer einzelnen Person führt. Es ist außerdem der Dialog mit einem Menschen, einer Frau, mit der Jesus eigentlich nicht hätte reden dürfen, und in dessen Verlauf er drittens Dinge sagt, die er eigentlich nicht hätte sagen dürfen, und in dem er schließlich viertens kritisch über Religion redet.
Ich möchte zunächst etwas über die grandiose Kulisse sagen, vor der dieser Dialog sich abspielt. Sie befindet sich in der Landschaft Samaria. Samaria ist für uns alle ein angenehmes Wort, weil darin der barmherzige Samariter anklingt, der aus dieser Gegend kommt. Die Erinnerung an diesen vorbildlichen Mann ist in gewisser Weise ein ewiges Kompliment an sein Land. Für dieses Land hatten allerdings die Zeitgenossen von Jesus in der Regel nicht viele Komplimente übrig. Wie auch immer - in dem fraglichen Buch über Jesus, dem Johannesevangelium, aus dem ich erzähle, heißt es zu Beginne lapidar, Jesus musste durch Samaria gehen. 
Man sollte vielleicht über Jesu Wanderungen wissen, dass Jesus die meiste Zeit seines Lebens entweder in Jerusalem oder am See Genezareth unterwegs gewesen ist. Jesus wird in Bethlehem, heute einem Vorort von Jerusalem, geboren und stirbt in Jerusalem, beides im Land Judäa. Er lebt mit seinen Eltern aber in Nazareth, im Land Galiläa, nicht weit vom See Genezareth entfernt, und verbringt die meiste Zeit seines öffentlichen Wirkens, das man auf nur etwa zwei Jahre schätzt, im Bereich dieses Sees.

Die Geschichte Samarias

Wenn Jesus von Jerusalem an den See Genezareth geht, etwa 160 km, muss er durch Samaria. Dieses Land, heute mit Teilen der palästinensischen "Westbanks" identisch, hatte eine wechselvolle Geschichte hinter sich. Es war ursprünglich einmal ein jüdisches Kernland gewesen, war dann aber nach den Beutezügen und Verschleppungen der Assyrer und Babylonier um 700 v. Chr. entvölkert und mit fremden Leuten besiedelt worden. Als die aus Samaria stammenden Juden und ihre Nachkommen viele Jahre später nach und nach aus dem Exil zurückkamen, fanden sie ihr Land voll mit neu angesiedelten, fremden Menschen vor und waren genötigt, sich mit diesen neuen Einheimischen zu arrangieren.

Das führte bald dazu, dass die Bevölkerung von Samaria ein Mischvolk wurde, welches auch in Bezug auf den jüdischen Glauben nicht mehr die reine Lehre bewahren konnte und fremde religiöse Vorstellungen in sich aufnahm. Irgendwann reagierten die Priester im nicht sehr weit gelegenen Tempel von Jerusalem darauf, indem sie die Leute aus Samaria nicht mehr als Juden anerkannten und vom Tempelgottesdienst ausschlossen.
Das führte wiederum dazu, dass die Leute aus Samaria sich an eine alte religiöse Tradition erinnerten und ein eigenes Heiligtum auf ihrem Gebiet sozusagen re-aktivierten.

Jesus macht in Sichtweite dieses Heiligtums Rast auf seinem Weg von Judäa an den See Genezareth. Es ist ein sehr imponierendes Heiligtum, ein Naturheiligtum, und es hat eine uralte Tradition, viel älter als etwa Jerusalem. Sie geht auf Mose zurück, den legendären Erzvater, der das Volk aus Ägypten nach Israel geführt hat. Er hatte dem jüdischen Volk einen jährlichen Gottesdienst in Samaria befohlen. Man kann es im fünften Buch Mose nachlesen (5. Mose 27).


Mose hatte zwei Berge ausgewählt, Garizim und Ebal, die aus einem engen Tal in der Nähe der heutigen Stadt Nablus hervortreten. Mose macht sie zu einem Symbol von Gut und Böse.
Die Berge liegen heute auf palästinensischem Gebiet, sie tragen auch im arabischen noch die alten Namen, Dscharizim und Aybal.

Brunnen

Unmittelbar am Fuß des Garizim sitzt nun also Jesus, als er in der Mittagshitze eine Pause auf dem Weg macht und auf dem Rand eines Brunnens versucht, etwas Wasser zu trinken und möglicherweise den Schatten des Brunnenhauses zu genießen.
Der Brunnen hat eine noch ältere Geschichte als das Mose-Heiligtum. Er geht auf den Urvater Jakob zurück. Abraham, Isaak und Jakob sind hier gewesen, es ist ein Ort mit  ganz alten Erinnerungen.


Bezüglich der Kirche, die man über diesen Brunnen gebaut hat, gibt es natürlich keinen eindeutigen Nachweis, dass es sich um den im Johannesevangelium geschilderten Ort des Brunnens handelt, der sich im Keller, in der Krypta der Kirche befindet. Aber es muss schon in den frühesten Tagen der Christenheit hier eine Kirche gegeben haben. Es spricht einiges dafür, dass der Ort korrekt überliefert ist.

Segen und Fluch
Woran erinnert sich Jesus, wenn er die beiden massiven Berge in seinem Blickfeld sieht? Im Gegensatz zu uns heutigen kennt er sicherlich die alten, in der Bibel festgehaltenen Befehle des Mose, der angeordnet hatte, dass sich hier in der etwa 500 m breiten Talebene zwischen den beiden Bergen das Volk Israel versammeln sollte. Hier sollten von den beiden Berghängen Worte des Segens und Worte des Fluchs verlesen werden. Das war klares Weiß und klares Schwarz, und das Volk sollte sich neu dafür entscheiden, den Worten des Segens zu folgen. Das war Religion in einer sehr beeindruckenden Art.
Die Worte des Segens bestanden aus den Zehn Geboten und einer Reihe von weiteren Vorschriften, welche die zehn Gebote ergänzten. Diese wurden vom Garizim verlesen. Für die Worte des Fluches war von Mose dagegen ein Katalog von zwölf Schandtaten zusammengestellt worden, die von dem Berg Ebal herunter vorgelesen werden sollten. Sie sind teilweise so drastisch, dass man sie selten einmal in einen christlichen Gottesdienst hört, auch wenn sie zusammen mit dem Alten Testament für Christen weiterhin zur Bibel gehören. Verflucht ist, wer mit einem nahen Verwandten sexuelle Beziehungen eingeht, wer sich zu einem Mord bestechen lässt, heimlich Grenzen verrückt und anderes mehr.

Die Bibel berichtet an einer Stelle (Josua 8), dass ein solcher Gottesdienst mit Verlesung der Segens- und Fluchworte tatsächlich stattgefunden hat. Damals stand die bis heute berühmte und von Geheimissen umwitterte Bundeslade – der Spielberg-Film vom Jäger des verlorenen Schatzes handelt ja davon – am Eybal und war Mittelpunkt des Gottesdienstes. Danach allerdings wandert sie und mit ihr das Heiligtum der Juden in südliche Richtung über verschiedene Zwischenstationen, bis alles am Ende in dem etwa 60 km entfernten Jerusalem ankommt.
Die Leute aus Samaria entdecken um 600 v. Chr. dieses Heiligtum neu und es gibt bis heute eine kleine Restgemeinde in dem Dorf Kiryat Luza auf dem Garizim, die den Glauben der Samarier auch in der Gegenwart noch am Leben und den Garizim heilig erhält.


Wasser

Soviel zum Bühnenbild und zurück zur Geschichte. Jesus hat zu Beginn ein praktisches Problem zu lösen. Der Brunnen ist zu tief, um mit der Hand daraus zu schöpfen, und Jesus hat kein Gefäß, mit dem er sich helfen könnte. Zu seinem Glück kommt eine Frau zum Brunnen, die er kurzerhand bittet, für ihn etwas Wasser aus dem Brunnen zu holen. Kaum hat er die Frage ausgesprochen, kommen die alten Differenzen zwischen den Juden und den Leuten aus Samaria wieder zum Vorschein. Die Frau spricht es selbst an: Du bist ein Jude und redest überhaupt mit mir als samarischer Frau?
Jesus lässt sich durch diese Frage zu einer Antwort verleiten, die er auf jüdischem Boden kaum einmal gibt. Er hat eine göttliche Berufung, hält sie aber unter den Juden weitestgehend geheim. Aber hier spricht er es relativ direkt an: wenn du wüsstest, wer ich wäre, könntest du mich ebenfalls nach Wasser fragen, aber nach einem lebendigen, ewigen Wasser, nach einem Wasser, man könnte sagen: das den Durst nach Leben stillt.
Fünf Männer

Als dann die Frau die Distanz zu Jesus ein wenig überwindet und vertrauensvoll sagt: ich bitte dich um dieses Wasser, nimmt das Gespräch eine überraschende Wendung. Jesus unterbricht die Unterhaltung und bittet die Frau, zunächst einmal ihren Mann zu rufen. Ich habe keinen Mann, sagt die Frau, und Jesus sagt, ja, ich weiß, du hast bereits fünf Männer gehabt und der jetzige, der sechste, ist nicht dein Mann.

Es ist heute, nachdem die Geschichte fast 2000 Jahre alt ist, nicht mehr eindeutig herauszulesen, ob Jesus eine Verwerflichkeit, eine Sünde bei der Frau feststellt oder ein Problem. Die alte Auslegung, die auch aus dem Spiritual klingt, das wir gehört haben, geht eher in die Richtung Sünde. Die Frau hätte es demnach mit ihren vielen Männern nicht ganz so genau genommen. Andere Ausleger sagen dagegen, dass die Frau möglicherweise von den fünf Männern ausgenutzt worden ist, als willige Haushaltsgehilfin etwa. Man hat ihr die Ehe versprochen und sie erst einmal arbeiten lassen. Die Frage Sünde oder Problem stellt sich oft und ist meist nicht einfach zu beantworten. Wer kann in seinem Leben das eine von dem anderen immer klar unterscheiden?
Die Frau muss gespürt haben, dass Jesus nicht gekommen ist, sie zu verurteilen. Er hatte ja gleich zu Beginn angeboten, ihr Wasser zu geben, das den Durst nach Leben stillte.
Deshalb beleidigt diese Antwort die Frau nicht – im Gegenteil: sie überzeugt sie noch mehr davon, dass dieser Mann tatsächlich eine besondere, eine von Gott gesandte Person ist. Und so will sie letzte Gewissheit über ihre eigene religiöse Existenz bekommen und fragt Jesus nach den beiden Heiligtümern, dem Garizim für die Leute aus Samaria und dem Tempelberg in Jerusalem für die Leute aus Judäa.


Frage nach dem richtigen Glauben
Jesus gibt ihr eine recht ausführliche Antwort, die in den Worten endet, dass man schon sehr bald nicht mehr weder auf dem Garizim noch auf dem Tempelberg in Jerusalem anbeten werde. Vielmehr werden die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten. Was immer er damit meint: es ist eine Absage an eine an Orte gebundene Religion, an Tempel, an Kirchen und Kathedralen. Hier ist Jesus dem jungen Mann aus unserem Video sehr nah. Seine Religion ist keine Religion im alten Sinne mehr, sie ist persönliche Beziehung, sie ist die Begegnung mit einer lebendigen Person, mit Worten und Gedanken und mit einem göttlich inspirierten Menschen.

Der Messias

Die Frau, die sich in dem Gespräch immer mehr als kluge und verstehende Gesprächspartnerin erweist, sagt daraufhin so in etwa: das ist dann also die Zeit, in welcher der Messias kommen wird. Und Jesus sagt in einer Offenheit, mit der er wie gesagt in Jerusalem nicht redet: dieser Messias steht vor dir.

Und die Frau glaubt. Und sie läuft in ihre Stadt und trommelt mit der Botschaft, dass sie dem Messias begegnet ist, viele Leute zusammen. Die hören ebenfalls auf Jesus, lassen sich überzeugen und bitten ihn, den anfangs so fremden Juden, ihre Gastfreundschaft anzunehmen und länger in der Stadt zu bleiben. Und Jesus tut es, zwei Tage lang, und es entsteht – das vermute ich aus anderen Berichten der Bibel – eine Schar von Jesus-Anhängern an diesem Ort. Es sind keine Christen, das Wort entsteht erst ein paar Jahre später, es ist auch nichts von neuen Heiligtümern im damaligen Samaria bekannt, aber wenn später die Nachfolger Jesu in Jerusalem verfolgt werden, fliehen sie unter Anderem auch nach Samaria und werden dort, so vermute ich einmal, von Glaubensverwandten empfangen.


Zusammenfassung
Lassen wir die Bilder noch einmal an uns vorüberziehen. Wir sehen den Jesus, der auf einfache Weise gesellschaftliche Grenzen überwindet, der sich nicht für etwas Besseres hält als die Frau aus Samaria. Wir sehen den Jesus, der den Durst nach Leben kennt und etwas anbietet, mit dem dieser Durst gestillt werden kann. Wir sehen den Jesus, der der Frau ins Herz sehen kann, der das Durcheinander in ihren Beziehungen sieht und geradeheraus mit ihr darüber reden kann. Wir sehen den Jesus, der die Grenze zu Gott überwindet, der selbst von Gott kommt und uns etwas von Gott sagen will. Wir sehen auch den Jesus, der sich Zeit nimmt, der zwei Tage länger bei uns bleibt, und mehr, wenn wir ihn darum bitten. Wir sehen den sympathischen Jesus.

Darf ich ein wenig weitergehen und fragen: kann aus der Sympathie für diesen Mann auch noch mehr werden? Kann daraus Freundschaft werden, am Ende vielleicht Liebe?
Ich sage Ihnen ganz offen, es ist in diesem Haus über 100 Jahre lang immer wieder gesagt worden, dass wir Jesus lieben. Aber es ist vielleicht so oft gesagt worden, dass wir jetzt die Sehnsucht haben, es noch einmal neu zu hören. Und zwar nicht von uns selbst, die wir sozusagen Spezialisten für die Liebe zu Jesus geworden sind. Wir sind in Gefahr, ihn sozusagen nur von Berufs wegen zu lieben. Wir sehnen uns deshalb danach, es von anderen, von Kirchenfremden zu hören. Wir würden uns danach sehnen, dass mitten in dieser modernen Welt, mitten in Facebook, Menschen sich auf Begebenheiten im Leben von Jesus besinnen und sagen: ich begreife, warum man davon reden kann, Jesus zu lieben. Und dass sie sagen: deshalb möchte ich Jesus eine Chance geben, auch von meiner Liebe etwas abzubekommen. Ich möchte Jesus eine Chance geben, in eine Beziehung mit mir zu treten.


Einladung in eine Beziehung

Hier möchte ich für alle, die nicht bei Facebook sind, ein wenig übersetzen. Dass man in einer Beziehung ist, das ist eine der wichtigsten Meldungen, die man in Facebook abgeben kann. Unter den Jugendlichen hat es in der letzten Zeit immer wieder diese Meldung gegeben ist in einer Beziehung. Ich habe mich immer gefreut. Manchmal kam leider nicht allzu lange danach die Gegenmeldung, dass die Beziehung wieder beendet ist.

In einer Beziehung mit Jesus zu sein, das wird nicht mit einem einfachen Mausklick herzustellen sein. Aber es ist ein realer Sachverhalt ist, der jedem Menschen möglich ist, der tief in unser Leben eingreift, der unser Leben mit einer neuen Freude, einem neuen Sinn, einer neuen Zuversicht erfüllen kann. Dafür möchten diese Kirche, diese Gemeinde und die gesammelte Erfahrung ihrer Mitglieder stehen.
Und so laden wir am Ende dieses Gottesdienstes dazu ein, dass Sie die Sympathie, die Sie vielleicht beim Erzählen meiner kleinen Geschichte empfunden haben, nicht gleich wieder vergessen, sondern dass sie der Sympathie eine Chance geben, daraus Freundschaft werden zu lassen, vielleicht am Ende Liebe.

I love Jesus, but I hate religion - ich liebe Jesus, aber ich hasse Religion. Das hat am Anfang unserer Überlegungen gestanden. Es ist ein harter Satz, in Bezug auf die Religion. Aber wenn er bewirkt, dass man anfängt, sich mit dem ersten Teil zu beschäftigen, dann kann er vielleicht dazu führen, etwas Neues unter uns beginnen zu lassen. Und das wünsche ich mir.
Amen

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