Montag, 12. September 2011

Ladinsch

Heute haben wir uns dem felsigen Fuß des Plattkofel bis auf wenige hundert Meter genähert (mit dem Sessellift) und sind dann in respektvollem Abstand durch die Almen und Wälder unterhalb der doppelten Gipfel von Plattkofel und Langkofel hinuntergewandert ins Grödnertal.


Dort hörte ich an einer Bushaltestelle in St. Ulrich zum ersten Mal drei Einheimische Ladinsch sprechen, den altrömischen Dialekt, der in Südtirol nur hier und im Gadertal gesprochen wird (im Gebiet von Trient, Belluno und Venetien gibt es ein paar weitere Täler, die Ladinsch sprechen). Er ist dem Romanischen der nahen Schweiz verwandt und ist als Amtssprache anerkannt.

Der in St. Ulrich geborene Luis Trenker (1892 – 1990), von dem wir „Mein Südtirol“ antiquarisch erworben habe und viel Lesenswertes und literarisch Schönes darin finden, erzählt von seiner Südtiroler Mutter, die aus einer alten, angesehenen Familie stammte und dem aus dem Inntal zugewanderten Vater, einem auf das Bemalen von Holzfiguren spezialisierten Kunsthandwerker. Die Ehe der beiden setzte eine alten Ratschlag in die Tat um: wer etwas für die Einheit des nördlichen Tirols mit Südtirol tun wolle, solle „über den Brenner heiraten“. Unabhängig davon lehrte die Mutter ihre Kinder Ladinsch – wie viele Mütter es offenbar heute noch tun, denn im Grödnertal sprechen mehr als 75% der Menschen laut einer Wikipedia-Statistik sowohl mit den Kindern als auch mit den Beamten auf dem Rathaus Ladinsch.

Im Radio Gardena (auch im Internet empfangbar) lauten die Programme „Bon di cun Leander Perathoner“ – „Nfurmazions“ – „Na cianta per te“ und ähnlich. Das Vaterunser hört sich so an:

Pere nost, che t'ies tl ciel,
sibe santificà ti inuem,
vënie ti rëni,
sibe fata ti ulentà,
coche en ciel enscì en tiera.

Die Sonne wärmt auch die Gebiete über 2.000 m immer noch so stark an, daß man ohne Pullover wandern kann. Man hat zwar einen im Rucksack, und außerdem einen Anorak– falls! – wie der Rheinländer sagt. Aber in windstillen Lagen und vor allen Dingen, wenn es bergauf geht (was wir in den ersten Tagen noch sehr vermeiden), ist der Schweiß und nicht die Kälte das Problem.

Ich schreibe dies abends bei offener Balkontür, während gelegentlich ein wenig „Lärm der Gasse“ zu uns hinauf dringt. Unsere Wohnung liegt diesmal nach vorne heraus, ein Teil des Besucherstroms in den malerischen Dorfkern muß unter unseren Fenstern hindurch. Warum habe ich nie in meinem Leben so volksnah wie hier gewohnt? Warme Stimmen der Menschen, geheimnisvolles Raunen des Volkes? Im Urlaub lernt man, was man im Leben alles versäumt hat…

1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Mir kommt es immer so vor, als seien die vielen Sprachen, dem Lateinischen wie einer Wurzel zart entsprungen, Teil der Vegetation, die das Land von der Algarve bis zum Donaudelta bedeckt, besonders schön und reichhaltig in den Gebirgsgegenden.