Sonntag, 23. Januar 2011

Facebook-Gottesdienst




Mit herzlichem Dank an alle, die teilgenommen, Grüße geschickt und in vielerlei Weise mitgeholfen haben, zeige ich hier

- das kleine Video über die Internet-Weihnachtsgeschichte "The Digital Story of Nativity", das wir im Gottesdienst gezeigt haben,
- das Video aus Lodz in Polen, das Pastor Leszek Wakula extra für uns gemacht hat und das wir ebenfalls im Gottesdienst gezeigt haben,
- meine Predigt in der etwas längere Form (im Gottesdienst hatte ich sie gekürzt).

Als nach etwa 20 Minuten die Gemeinde mit viel Lachen auf das Nativity-Video reagierte, waren meine Sorgen vorbei, daß einige Leute mit Unverständnis reagieren würden, und ich habe mich am weiteren Verlauf des Gottesdienstes selbst freuen können.


The Digital Story of Nativity:





Leszek Wakula aus Lodz, Polen:





Meine Predigt:


Die Generation Google lebt in einer großen Erwartung. Sie erwartet, daß alles Wissen dieser Welt so zur Verfügung gestellt wird, daß man es schnell und zuverlässig über das Internet abrufen kann.

Diese Erwartung ist nicht neu, sie hat eine Vorgeschichte. Und die beginnt mit einer einfachen Sache: mit der Vergeßlichkeit des Menschen. So lange es diese Vergeßlichkeit gibt – und die gibt es natürlich, solange es Menschen gibt – ist auch der Wunsch da, einen Ort auf der Welt zu haben, wo man alles findet, was man gerne behalten möchte oder auch neu wissen will.

Es ist schon eine Zeit her, etwa 500 Jahre, da sind die Menschen diesem Wunsch einen entscheidenden Schritt näher gekommen. Damals, um das Jahr 1500 herum, wurde bekanntlich die Buchdruckerkunst erfunden, und die Menschen haben durch die Bücher einen wichtigen Weg entdeckt, ihre Vergeßlichkeit zu besiegen. Die Nachschlagewerke kamen, und sie wurden zu einer großen Zauberwelt, in der man alles nachsuchen und finden konnte.

Vielleicht hat man damals ganz ähnlich wie heute darüber geklagt, daß der Kontakt von Mensch zu Mensch leidet, daß nämlich jetzt all die schönen Geschichten, die man bisher mündlich weitergegeben hatte, von Generation zu Generation, „nur noch“ in den Büchern aufbewahrt würden und nicht in den lebendigen Köpfen und Herzen und Erinnerungen der Menschen. Aber wie wir wissen, hat das Erzählen von Geschichten nicht aufgehört, und auch wenn wir die Geschichte von Schneeweißchen und Rosenrot nicht mehr in allen Einzelheiten in Erinnerung haben, so kennen wir sie doch und wissen zur Not, wo das Buch steht, aus dem wir den Kindern vorlesen können. Das sollte uns hoffnungsvoll machen, was die Angst betrifft, die neuen Techniken würden alles zerstören. Das muß nicht sein.

Damals haben auch die Kirchen, die sich in dieser Zeit in vielfacher Weise reformiert haben, angefangen, Bücher zu nutzen und neben der Bibel auch Nachschlagewerke zu drucken, in denen man Fragen des Glaubens sozusagen „googeln“ konnte. Eines der berühmtesten Bücher dieser Art erschien um das Jahr 1640 in London und erhielt den Namen Westminster Katechismus. In „Katechismus“ steckt das Wort für Unterrichten, also ein Unterrichtsbuch, ein Lehrbuch. Dieses Buch gibt in 107 Fragen und 107 Antworten Auskunft über die Grundlagen des Glaubens, und man konnte also anhand dieses Buches Tatsachen über den Glauben nachschlagen, die man vergessen oder noch nicht gelernt hatte.

Bitte stören Sie sich jetzt nicht daran, daß ich ein fast 400 Jahre altes Buch hervorkrame. Ich habe immer wieder gehört und gelesen, daß die erste, ganz kurze Frage des Westminster Katechismus und die erste, ebenfalls ganz kurze Antwort für viele Christen im englischsprachigen Raum und darüber hinaus bis heute eines der tiefsten Fundamente ihres persönlichen Glaubens sind, vielleicht deshalb, weil Frage und Antwort so überraschend einfach sind.

Die Frage ist: was ist das oberste Ziel des Menschen (What is the chief end of man)?

Und die Antwort: Sein oberstes Ziel ist es, Gott die Ehre zu geben und sich an ihm für immer zu erfreuen. (Man’s chief end is to glorify God, and to enjoy him forever).

Im Englischen heißt es glorify also wörtlich übersetzt glorifizieren, das ist aber nicht das richtige Wort. Gott soll sicherlich nicht in der Art glorifiziert werden, wie wir etwa die Heldentaten einer siegreichen Fußballmannschaft glorifizieren. Gemeint ist eher, daß wir unser Leben so einrichten, daß wir etwas Höheres über uns anerkennen, ja es in unser Leben einbeziehen und es mit unserem Denken und Handeln unterstützen, es tatsächlich hochheben. Das sollen wir so tun, daß wir uns daran – und hier steht enjoy von joy, Freude – erfreuen können, und zwar für endlose Zeiten, Zeiten, die unser eigenes Leben weit überschreiten.

Wenn man den Computer selbst übersetzen läßt, kommt das Wort genießen für diese Freude heraus, sich erfreuen, genießen, so wie man "enjoy your holidays" sagen kann, genieße deine Ferien. Da möchte man als älterer Mensch eher bremsen und sagen, das ist schon zu viel Jugendkult- Genußsucht!- aber enjoy kann das ja tatsächlich heißen, also lassen wir es so stehen, “genießen”.

Könnte es Sinn machen, wenn die Christen mit einem großen Schild durch die Stadt laufen "Genießt Gott!”? Einiges spricht dafür, daß sie es tun sollen. Vielleicht sollten sie dabei aber immer das zweite Schild mitführen und die Doppelbewegung des ganzen Satzes aufnehmen. Die Ehre geben und genießen – gib einer größeren Macht über dir gedanklichen Raum, gestatte ihr, dein Denken zu erreichen, dein Leben – und dann lebe mit ihr, damit am Ende alles in eine großen Freude einmünden kann, eine große Freude ohne Ende.

Daß man Gott die Ehre gibt, bedeutet nicht, daß man vor jedem Kruzifix in Andacht verfällt, vor jeder Kirchentür ehrfürchtige Schauer bekommt. Es bedeutet, daß man sein Leben in einen größeren Zusammenhang stellt, ein Oben und Unten anerkennt, einen Schöpfer und ein Geschöpf, einen Anfang und ein Ende. Es entsteht auf diesem Weg ein sinnvoller Zusammenhang, in dem ich selbst meinen Platz im Universum finde.

Was meine konkrete Ehrerbietung Gott gegenüber betrifft, so kann ich sie in einem sichtbaren Zeichen ausdrücken, indem ich denen Ehre erweise, die Gott mir an die Seite gestellt hat: meinen Nächsten, meiner Menschenschwester und meinem Menschenbruder neben mir.

Der Sinn eines solchen Lebens ist diese endlose Freude, joy forever, von welcher der Katechismus spricht. Ich möchte sie über das Ende unseres Gottesdienstes stellen, als eine große Verheißung, die alle Menschen gilt, Mark Zuckerberg, Melanie, Denise, Murat*, mir, uns allen. Ich wünsche Ihnen, wünsche Euch allen diese endlose Freude an Gott.

Amen.

* Melanie Bergerhoff hatte mit mir den Gottesdienst moderiert, Denise Stelkens und Murat Aktaş hatte sich für Interviews zur Verfügung gestellt.



Donnerstag, 6. Januar 2011

Vergessene Kirchen




Philip Jenkins, Das Goldene Zeitalter des Christentum


Die unterschiedlichen Namen der christlichen Kirchen in diesem Buch könnten verwirrend wirken, diese Kirchen sind aber eigentlich alle Kinder der Syrischen Kirche, deren Besonderheit es war, immer mit dem Lebens- und Sprachraum Jesu und seiner Jünger verbunden geblieben zu sein. Die Syrer zu Jesu Zeiten sprachen ja ebenso wie er Aramäisch, eine dem hebräischen verwandte Sprache, und in den heute noch vorhandenen Resten der Syrisch-Orthodoxen Kirche, in denen die alte Sprache noch gepflegt wird*, findet sich oft ein synonymer Gebrauch der beiden Worte Syrisch und Aramäisch.

Die Kirche wurde lange Zeit von der syrischen Hauptstadt Antiochien** aus verwaltet und war in ihrem Gebiet vermutlich der alten römischen Provinz Syrien ähnlich, deren aus der Weihnachtsgeschichte bekannter Landpfleger Cyrenius ja auch für Galiläa und Judäa zuständig war. Die Syrische Kirche hat von Antiochien aus sehr bald eine erfolgreiche Ostmission begonnen und in der Folge ihr Zentrum nach Bagdad verlegt. Von dort aus gingen Missionare immer weiter nach Osten und gründeten bald neue Gemeinden in Indien, in Zentralasien und am Ende auch in China.

Der Erfolg der Syrischen Kirche wurde auch dann nicht gebremst, als um das Jahr 700 herum die Muslime die Herrschaft in Bagdad antraten. Der Kalif als Oberhaupt des Islam und der Katholikos als Oberhaupt der syrischen Kirche pflegten einen freundschaftlichen Umgang miteinander und genossen vielleicht sogar gemeinsam ein wenig die zauberhaften Jahre, in denen Tausendundeine Nacht lebendig wurde. Ein Teil der dem Islam zugeschriebenen Rettung alten griechischen Wissens dürfte auch dem fruchtbaren Dialog der beiden Religionen zuzuschreiben sein.

Auch mit anderen Religionen gibt es freundschaftlichen Umgang. Seite an Seite sitzen buddhistische und christliche Mönche in China und helfen sich gegenseitig bei der Übersetzung ihrer heiligen Texte in die Landessprache. Der Friede ist sicherlich nicht immer ungestört, dauert aber im wesentlichen bis ins Mittelalter an.

Foto: Syrisch-Orthodoxes Kloster Mor Gabriel, gegründet 397, in der südlichen Türkei.

Von Zeichen und Wundern wird berichtet, welche die Mission über Jahrhunderte begleiteten. Auch eine tiefe Frömmigkeit wird bezeugt, die sich aus der Überzeugung speist, Gott sei Mensch geworden, damit die Menschen ihm ähnlich werden könnten. Der tiefe Eindruck, den diese Christen machen, klingt auch lange nach ihrem Verschwinden noch nach.

Aus unterschiedlichen Gründen, denen Jenkins in vielen Einzelüberlegungen nachgeht, die er aber letztlich nicht zu einem Gesamtbild fügen kann und will, beginnen dann aber in der zeit um 1200 Zeiten der Gewalt, die überall zu Vertreibungen und Vernichtungen führen. Damals wird die alte ägyptische Kirche der Kopten so in ihrem Bestand dezimiert, daß sie bis heute in ihrer Stellung einer an den Rand gedrängten Minderheit verblieben ist. Mehrfach fallen die Mongolen vom Norden ein und stoßen in die Länder des Nahen Ostens vor. Sie sind ursprünglich Animisten, bekehren sich nach einigen Hin und Her aber zum Islam, ohne dabei allerdings die tolerante Haltung der früheren Muslime zu übernehmen.

Es gibt in dieser Zeit Missernten, Klimaveränderungen, die Pest. Aus dem nachfolgenden Verteilungskampf erwächst ein stärker werdender Druck auf die Minderheiten der damaligen Gesellschaften. Das gilt nicht nur für den Bereich des Islam. England weist im Jahre 1290 alle Juden aus, Frankreich folgt 1394. Die Welt zwischen Atlantik und mittlerem Osten tritt in eine gewaltbereite Umbruchphase ein.

Besonders gefährlich ist die Lage für solche Minderheiten, die im Verdacht stehen, mit äußeren Feinden zusammenzuarbeiten. Wer etwa unter Moslems lebt und mit den Kreuzfahrern in Verbindung gebracht wird, muß bei kriegerischen Auseinandersetzungen mit ihnen das Schlimmste befürchten. Das Schicksal der Armenier, deren Ermordung 1915 durch die Türken mit ihrer Nähe zum russischen Kriegsgegner legitimiert wurde, hat in dieser Zeit ein vielfältiges Vorspiel.

Trotz aller traurigen Auseinandersetzungen zeichnet Jenkins ein erstaunlich positives Bild einer gegenseitigen Inspiration der Religionen. Selbst nach dem Untergang einer unterlegenen Religion bewahrt ihre siegreiche Schwester die Geheimnisse ihrer Vorgängerin auf und entwickelt sie weiter. Die Sufi-Mystiker im zentralen Anatolien pflegen einen langen und herzlichen Kontakt zu den frommen christlichen Mönchen dort und entwickeln in dieser Zeit eine im gesamten Islam einzigartige Weltsicht und Frömmigkeit. Andere Muslime lassen sich von der überragenden Bedeutung Christi überzeugen und gestehen ihm zu, von Gott adoptiert worden zu sein.

Umgekehrt empfinden fromme Christen dem Islam nicht als eine ferne, neue Religion, sondern bestenfalls als eine christliche Absplitterung, eine Sekte, deren Glauben man nicht in allen Punkten teilt, deren gemeinsame Wurzeln man aber anerkennt.

Am Ende gewinnt Jenkins aus seinem Blick auf das Trümmerfeld ungezählter untergegangener Glaubensgemeinschaft eine seltsam tröstliche Perspektive. Sind sie wirklich untergegangen? Steht nicht jede der früheren Generationen einem Wort des deutschen Historikers Leopold von Ranke entsprechend unmittelbar zu Gott? Jenkins erweitert den Gedankenn Rankes um die Anschauung von der Gemeinschaft der Heiligen, die um Gottes Thron stehen. Jede Generation ist vertreten, nichts ist verloren.

Und Jenkins wagt am Ende die Frage, ob an der Romangeschichte*** nicht etwas Wahres sein könnte, in der ein zum Tode verurteilter christlicher Märtyrer im 16. Jahrhundert kurz vor der Exekution Kraft und Trost gewinnt, indem er sich in einer mystischen Einheit mit einer Nachfolgerin verbindet - einer Christin des 20. Jahrhunderts.

Die Geschichte ist eine Kette, und The Chain of Memory is Resurrection, die Kette der Erinnerung ist Auferstehung.****


* bei meinem Besuch im Kloster Mor Gabriel in der Türkei, sagte mir ein alter aramäischer Christ das Vater Unser in Jesu Sprache, das hat damals einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Abuhn dabashmaya, nethkadasch schamach... Hebräisch klänge es so: Avinuh b'schamajim, jitkadasch schemcha.

** wo die Christen laut Apostelgeschichte 11 erstmals mit dem griechischen Namen Christianoi benannt wurde (meinem Vornamen, in Ewigkeit soll es den Antiochiern nicht vergessen werden...). Heute heißt der Ort Antakya und liegt in der Türkei, unweit der syrischen Grenze.

** aus:
Charles Williams: Descent into Hell.

*** mit diesem Zitat aus
einem Gedicht von Charles Olson endet das Buch.