Montag, 27. Dezember 2010

Weihnachten mit einer neuen Bibel (III)






Fortsetzung und Schluß: Brian McLaren, A New Kind of Christianity


Hier nun eine vorsichtige Kritik.

Viele Leser werden schon auf der ersten Seite den Punkt erreichen, an dem sie entweder entschieden zustimmen oder heftig ablehnen. Es ist der Satz der christliche Glaube in all seinen Formen ist in Bedrängnis (the christian faith in all its forms is in trouble). Auch wenn gleich im nächsten Satz dagegengesetzt wird der christliche Glaube in all seinen Formen ist schwanger mit neuen Möglichkeiten, ist es diese erste, pessimistische Beurteilung, die man teilen muß, um mit Interesse weiterzulesen. Wer die gegenwärtigen Kirchen und Gemeinden gut versorgt und für die Zukunft gerüstet sieht, kann hier das Buch aus der Hand legen. Er wird für sich selbst nichts verpassen.

Wer dagegen die Sorgen McLarens teilt, entdeckt sehr bald eine Sammlung von alten und neuen Schätzen für eine Kirche von morgen. Dazu gehört etwa die Art und Weise, mit der McLaren die Bibel als ein Stück gute und frische Literatur liest und nicht als alte und starre constitution. Für mich ist es belebend, immer wieder die ursprüngliche Absicht jedes einzelnen Autors aus seinen Worten herauszulesen und sich davon berühren zu lassen. Auf diesem Weg erfährt man aus vielen Büchern der Bibel zunächst einmal die reine Geschichte des jüdischen Glaubens, ohne gleich immer die spätere Interpretation mithören zu müssen, die in der griechisch geprägten Geschichte des christlichen Denkens hinzugekommen ist.

Durch die Ausblendung der Kirchengeschichte mit ihrer Übernahme, Verarbeitung und Veränderung ursprünglich jüdischer Ideen ergibt sich allerdings ein blinder Fleck. Es entsteht der Eindruck, als sei die Geschichte Gottes mit seinem Volk bis in die Zeiten der Urgemeinde hinein sinnvoll und folgerichtig gewesen, die Geschichte der Kirche etwa ab dem Jahre 100 dagegen aber durch den grundlegenden Urirrtum verfälscht, der in der Adaption griechischer Philosophie bestand. Das, was McLaren eigentlich erreichen will, ein Verständnis für einen ursprünglichen, urwüchsigen Gott, der parallel zu seiner tödlichen Feindschaft gegenüber Israels Nachbarvölkern schließlich doch seine am Ende alle Völker umfassende Liebe entwickelt und dabei Irrtümer in Kauf nimmt, gilt nicht mehr für das Verständnis der mittelalterlichen Kirche mit ihrer nach Meinung McLarens platonischen Vision eines Himmels und einer Hölle.

So wird es in der Praxis sehr schwer sein, die alte, nicht erneuerte Kirche mit McLarens Gedanken zu versöhnen, weil deren jetzt von McLaren aufgedeckte Irrtümer durch kein Bild eines sich entwickelnden Gottes relativiert werden können. Der alte grausame Befehl die Philister auszurotten war notwendig, die neuzeitliche Buß- und Bekehrungspraxis angesichts einer falschen Vorstellung von Himmel und Hölle dagegen nicht, wenn man McLarens Gedankenfaden weiterspinnt.

Ich denke, daß an dieser Stelle sein Versöhnungswerk, dessen Faszination man sich nicht entziehen kann, noch ergänzt und erweitert werden muß. Die Griechen, von Augustinus angefangen, dürfen nicht auf dem Abfallhaufen der Geschichte landen.

Dagegen muß eine andere Faszination, die von McLaren ausgeht, die leuchtende Darstellung des Reiches Gottes, des peaceable kingdom, als eines im Präsens möglichen Lebensraums nach meinem Geschmack vorerst noch ein wenig zurückgenommen werden. Es mag sein, daß Gott die Zukunft dieses Reiches auch in die Hände der daran mitwirkenden Menschen gelegt hat. Er will dieses Reich allmählich mit ihnen entwickeln und es nicht mit einem Paukenschlag am Ende der Zeiten anbrechen lassen, sagt McLaren mit Blick auf alttestamentliche Prophezeiungen. Aber wie es im einzelnen mit dieser Entwicklung sein wird, könnte sich als ein größeres Geheimnis erweisen als es der alle Geheimnisse lüftende Amerikaner McLaren annimmt.

In der praktischen Konsquenz heißt das, daß die Neue Kirche McLarens nicht automatisch so weit im linken politischen Spektrum angesiedelt werden muß, wie McLaren das durchgängig nahelegt. Solange das Reich Gottes noch nicht gesichert ist, kann man dem Bösen nicht unbewaffnet entgegentreten. Das grenzt etwa den Pazifismus McLarens entscheidend ein.

Auch seine Toleranz gegenüber abweichenden Spielarten der Sexualität – ein ganzes Kapitel widmet er diesem Thema – paßt nach meinem Eindruck erst in das endgültige Friedensreich, wo Wolf und Schaf beieinander weiden. Ich hatte beim Lesen einen Augenblick das Bild meiner fähnchenschwingenden Remscheider Baptistengemeinde vor mir, wie sie am Straßenrand steht und dem Umzug des Kölner Christopher Street Day zuwinkt. Ein unmöglicher Gedanke.

Wenn man das Buch gelesen hat, fragt man: was wird geschehen, was soll geschehen? Nach meinem Eindruck gibt es viele Pastoren, die sich brennend für McLarens Gedanken interessieren, das Internet gibt Zeugnis davon. Ich bin sicher, daß sie von McLaren und der ganzen Bewegung der Emerging Churches lernen und ihren Gemeinden einen Weg der Erneuerung, ins 21. Jahrhundert hinein, zeigen können. Aber sie müssen es in einer großen Verantwortung und Liebe allem Bestehenden gegenüber tun. Vermutlich wird es am besten sein, wenn sie sich Dritten gegenüber öffnen und ihre Erneuerungspläne mit unabhängigen Ratgebern besprechen.

Sie werden daran arbeiten müssen, Ordnung in die Vielfalt der Möglichkeiten zu bringen, die McLaren aufzeigt. Der Blick ins Internet zeigt derzeit noch einen Bauchladen von bunten Initaitiven, die eigentlich nur über das Wort von den Emerging Churches untereinander verbunden sind.

Mein Eindruck ist, daß nur eine starke, hierarchische Kirche die Kraft haben wird, den inneren Umbau zu einer veränderten, friedlichen und damit am Ende auch weniger hierarchischen Kirche zu schaffen. Das widerspricht sich auf den ersten Blick, aber auf den zweiten Blick könnte es vernünftig sein, den verwegenen Wunsch zu träumen, daß die alte katholische Kirche die Last aber auch die Chancen einer solchen Erneuerung als Vorreiter auf sich nehmen und auf diesem Weg uns allen ganz nebenbei wieder einen Platz in ihrem Schoß ermöglichen würde.





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