Sonntag, 26. Dezember 2010

Weihnachten mit einer neuen Bibel (II)




Fortsetzung: Brian McLaren, A New Kind of Christianity

Gestern hatte ich die ersten fünf Kapitel nacherzählt, heute mache ich mit den Kapiteln 5 - 10 Fortsetzung. Morgen will ich eine vorsichtige Kritik schreiben.


6. Wie soll die Kirche der Zukunft aussehen?

Die zentrale Aufgabe einer erneuerten Kirche besteht nach McLaren darin, Jesus-ähnliche Menschen heranzubilden. Sie sollen lieben wie Jesus, ihren Nächsten zum Segen sein wie Jesus, das Reich Gottes herbeisehnen, herbeipredigen und herbeileben wie Jesus. Das Motto dieser Kirche findet sich im großen Liebeskapitel des Apostels Paulus in 1. Korinther 13, wo von der Liebe geschrieben wird, die alles versteht und trägt . Sie ist unter dem, was uns an Fundamenten gegeben ist – Glaube, Liebe und Hoffnung – das Größte.

7. Praktische Fragen (I): Sexualität

Möglicherweise werden sich Leser, die eine beharrliche Verbundenheit zu den Kirchen der alten Form empfinden, am ehesten an diesem Kapitel stören. Wer wie McLaren das Liebesgebot auf die verschiedenen Spielarten der Sexualität anwendet, wird fast zwangsläufig zum Liberalen. Das kann nicht jedem gefallen, besonders dem nicht, der die vielfältigen Grenzen der Bibel kennt, die der Sexualität gesetzt sind.

McLaren liest die alte Prophezeiung aus Jesaja 56, wonach dem fremden aber gottesfürchtigen Verschnittenen im Tempel Yad va Schem gegeben werden soll, ein Erinnerungsort und ein Name, mit Blick auf sexuell von der Norm abweichende Menschen. Für sie ist im Reich Gottes jederzeit Platz. Einer der ersten Menschen, die von der christlichen Mission erreicht werden, der Jesaja lesende Eunuch-Kämmerer aus Äthiopien (Apostelgeschichte 8) ist für McLaren ein typischer sexuell von der Norm abweichender Mensch (und dazu noch dunkelhäutig!), und daß er so prominent erwähnt wird, ein Beweis der Hinwendung zu den von der Norm abweichenden Menschen.

Kritisiert wird die fundasexuality der alten Kirchen, die abweichendes Verhalten als gegen die Schöpfungsordnung gerichtet ablehnen. Für McLaren ist aber auch diese alte Ordnung der Welt einer Dynamik unterworfen, die in Richtung auf Befreiung / Exodus und Friedensreich Gottes hingeht.

8. Praktische Fragen (II): Zukunft

Wie manche Mitglieder der charismatischen Bewegung versteht McLaren den alten Begriff von der Parusie, der Wiederkunft Christi, als Präsenz. Er löst damit das alte Problem auf, das sich aus der nicht erfüllten Naherwartung der ersten Christen in Bezug auf die Wiederkunft Christi ergibt. Zwar ist Christus nicht sichtbar wiedergekommen, aber er ist gegenwärtig im Leben der Christen und besonders im Gottesdienst der Christen. Seine Gegenwart macht aus der Geschichte keinen linearen Lauf auf ein Ende hin, sondern einen zum Himmel hin offenen Weg, der wie ein Lied ist, dessen Töne mit Leidenschaft gesungen werden wollen, jeder einzelne für sich und ohne beständig an das Ende des Liedes zu denken.

In einem erneut sehr langen und sehr gut geschriebenen Absatz erläutert er dieses präsentische Verständnis an der Geschichte des Propheten Jona. Gegen die Dummheit und den Widerwillen des Propheten rettet Gott zunächst ihn und dann die große Stadt Ninive – und das große Thema, von dem die Geschichte handelt, besteht im Unvermögen Jonas, das bereits gegenwärtige Heil Gottes zu sehen.

Gott bringt zurecht, das ist sein Gericht, ein gutes Gericht, das heute geschehen kann, das aber eine griechisch beeinflußte Denkweise zu einem bösen Strafgericht am Ende der Zeiten gemacht hat.

9. Praktische Fragen (III): andere Religionen

Mein Vater war nicht nur ein Mann der Brethren wie McLaren, er war auch ein Allversöhner wie er (ich bin mir in diesem Thema nicht sicher, habe aber auch nie den Druck gespürt, mich hier entscheiden zu müssen). Das Verständnis von der schlußendlichen Rettung aller Menschen findet sich in einigen Stellen der Bibel, am prominentesten vielleicht im Christus-Hymnus in Philipper 2, wo vorhergesagt wird, daß eines Tages jedes Knie sich beuge, der Himmlischen und Irdischen und Unterirdischen, und jede Zunge bekenne, daß Jesus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters – in einem freiwilligen und erlösenden Akt, wie mein Vater fest glaubte.

In einer Welt, in der die Angst vor einem Clash of Religions viele Menschen lähmt, ist die Botschaft von der universellen Gültigkeit der Liebe und Vergebung Gottes für alle Menschen natürlich eine große Befreiung. McLaren unterstreicht diese Botschaft, indem er das bekannte Ausschlußwort aus Johannes 14,6, Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater als nur durch mich, neu und anders deutet. Jesus bleibt der Weg, sein Leben, Sterben und Auferstehen bleiben ewig gültig – aber eben für alle Menschen. Das macht eine erneuerte Kirche offen für eine große Brüderlichkeit mit anderen Glaubensrichtungen.

10. Praktische Fragen (III): was ist zu tun?

In einer überraschenden Wende stellt McLaren seine neuen Christen und ihren zukünftigen Weg unter ein fremdes Urteil. Er rät dazu, es wie der jüdische Priester Gamaliel zu machen, der mit der alten Garde seiner Kollegen die neue christliche Gemeinde um das Jahr 35 n. Chr. herum kritisch beäugte aber dazu riet, nichts gegen sie zu unternehmen. Ihr Lebensrecht würde sich von selbst erweisen: wäre es eine rein menschliche Bewegung, so würde sie im Sand verlaufen. Sei sie dagegen von Gott, dann sei sie nicht zu bremsen und jeder Widerstand wäre zwecklos.

So rät McLaren, sich letztlich auf Gott zu verlassen und es seine Sache sein zu lassen, sich in den erneuerten Christen als am Werk zu erweisen.

Anregungen und Vorbilder für eine neue Art von Frömmigkeit gibt es in der Kirche genug. McLaren nennt hier den Iren-Missionar St. Patrick, Franz von Assisi, Luther, Menno Simons und andere. Ihre Gedanken wirken bis heute nach und können auch heute noch neue Wirkungen zeitigen.

Was das Verhältnis zu den traditionellen Christen betrifft, so sieht McLaren sie auf einer früheren Entwicklungsstufe stehen. Da allerdings die ganze Geschichte Gottes und seiner Menschen eine Geschichte von Entwicklungen ist, hat auch die frühere Stufe ihr Recht. Sie muß sich nur als eine Stufe unter vielen erkennen und darf sich nicht verabsolutieren. Sünde ist nach McLaren die Weigerung, zu wachsen und sich zu entwickeln.

McLaren hat hier erneut simple, einleuchtende Vergleiche, an dieser Stelle das Bild einer Entwicklung in Farben, die am Ende den Regenbogen bzw. zusammengesetzt das weiße Licht bilden. Von der roten Startzone, in der es um das nackte Überleben geht, gelangt man über Orange (Sicherheit), Gelb (Macht) schließlich zum paradiesischen Violett, das für Frieden steht.

So entsteht am Ende ein optimistisches Bild einer freien und friedlichen Gemeinschaft. Es hat für mich den Schönheitsflecken, etwas zu weit links zu stehen, aber man kann sicherlich durch Abstriche an die allzu schnelle Naherwartung der vollkommenen Präsenz Gottes auch ein wenig Maß an das Ganze bringen und verhindern, erneut wie in den 60er Jahren Hippie-Kommunitäten von weltfremdem Grenzgängern zu bekommen.

Mir gefällt das reiche Ausschöpfen der Bibel in diesem Buch. Wer so in ihr lebt, wie es McLaren als Ideal verkündet, kann am Ende nicht in die Irre gehen.



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