Sonntag, 28. November 2010

Emerging Churches




Erster Versuch einer Annäherung

Nachdem ich vor etwa zwei Jahren den Koran mit den Augen der Liebe gelesen habe (damals mit den Augen meines Freundes Nureddin Öztaş) , möchte ich jetzt einen zweiten Versuch starten, auch die weltweite Bewegung mit den Augen der Liebe verstehen zu lernen, die sich hinter dem Wort Emerging Churches verbirgt. Diesmal sind es die Augen meiner Töchter Judith und Carolin und meines Schwiegersohnes Johannes, mit denen ich das sehen will, was mit diesem Wort zu tun hat. Sie interessieren sich schon seit längerer Zeit für Emerging Churches, lesen Bücher, besuchen Konferenzen und vieles mehr.

Meine erste Annäherung beginnt über die lateinische Sprache: Emergo heißt dort in der Grundbedeutung "ich tauche auf", auch das englische Wort emerge, das mehrere Bedeutungen haben kann, heißt zunächst einmal ebenfalls "auftauchen". Wenn sich verschiedene neue christliche Bewegungen mit diesem Wort identifizieren, dann wollen sie offenkundig einen eher fließenden Gegensatz zu dem bilden, was seit längerer Zeit festen, zu festen Bestand hat. Sie wollen das in Frage stellen, was vielleicht früher ebenfalls einmal frisch aufgetaucht ist, dann aber feste und harte Strukturen angenommen hat.

Mit den Augen der Liebe gesehen, steckt in dieser Bewegung eine Rückkehr zu den Quellen, also zur Urgemeinde, die ja ebenfalls fast wie aus dem Nichts aufgetaucht und zu einer großen verändernden Kraft in der Welt geworden ist. Christen haben sich immer wieder nach der Zeit geshnt, in der es in der Urgemeinde eine frische Dynamik gegeben hat, die dann später wieder verloren gegangen ist. Die ersten Christen standen nach den Berichten der Apostelgeschichte bei ihren Nachbarn in hohem Ansehen, pflegten ein sehr stark kommunitäres Leben, konnten teilweise auf übernatürliche Kräfte zurückgreifen und führten insgesamt ein Leben, das sie für Außenstehende sofort als geisterfüllte Christen kenntlich machte.

Einen Teil dieser Attraktivität der ersten Christen möchten auch die Menschen der Emerging Churches neu wiederbeleben. Für sie steht das verkrustete Wesen der über die Jahrhunderte entstandene Amtskirchen diesem aber entgegen. So lese ich es zumindest aus dem recht ausführlichen Wikipedia-Artikel (englisch, der deutsche Artikel ist kürzer und weniger informativ).

Es ist hier viel von soziologischen Fachbegriffen die Rede, die mich eher abschrecken. Dekonstruktion, kontextuelles Verständnis, narrative Interpretation - ich ärgere mich hier zunächst einmal über meine eigene Unbildung und scheue den langen Weg, den es mich kosten wird, sie zu beseitigen. Außerdem frage ich mich immer, ob nicht ein einfaches Wort aus der allgemeinen menschlichen Erfahrung ausreichen würde.

Das gilt etwa für das kontextuelle Verständnis. Wenn ich mich allerdings bemühe, den Begriff zu verstehen, dann eröffnet er eine interessante Perspektive. Es geht um das Verständnis eines Menschen, der neu zum Glauben kommt und als Kontext sein eigenes Leben mitbringt. Das Problem ist auch den "alten" Christen bekannt. Gerne gestehen sie dem neuen Gläubigen zu, daß er seinen Glauben im Kontext seines Berufes lebt und etwa ein bäuerlicher Christ wird oder ein akademischer. Eher zögerlicher sind sie, wenn er religiöse Vorprägungen mitbringt und etwa ein anglikanisch oder orthodox geprägter Christ bleibt, auch wenn die neue Kirche, zu der er sich hält, eher baptistisch und charismatisch geprägt ist. Ablehnend werden sie, wenn er aus dem blanken Heidentum kommt, aber alte Anschauungen - etwa die einer durch Geister belebten Natur - mit in seinem neuen Glauben übertragen will. Hier sind die Emerging Churches wohl offener und vertrauen der Kraft des Glaubens an Gott, daß er neue Formen eines "emerging faith" (ich weiß nicht, ob man das Wort benutzt) durch die Nähe zu Gott auf den richtigen Weg bringt.

In gewisser Weise ist der Weg über den Kontext ja tatsächlich der einzige Weg, einen modernen Menschen überhaupt für den Glauben zu gewinnen. Das sehen viele moderne Christen seit längerem ganz ähnlich. Dagegen ist der alte Weg der traditionellen Kirchen, den Menschen mit einer festen Dogmatik zu konfrontieren und ihm nur die Möglichkeit zu lassen, Ja oder Nein dazu zu sagen, in der Praxis immer wieder zum Scheitern verurteilt gewesen. Das muß man auch als Mitglied einer solchen alten Kirche selbstkritisch sagen. Ob man so weit gehen will, zu einer Dekonstruktion der alten Denksysteme zu kommen? Ich zögere etwas.

Ich möchte dies Zögern mit einem Eindruck verbinden, den ich beim erweiterten Googeln einiger der im Internet verwendeten Begriffe und Namen bekommen habe. Es ist der Eindruck, daß das Spektrum der unter dem Label Emerging Churches versammelten Menschen, um es vorsichtig zu sagen: ein wenig nach links tendiert. Das mag vielleicht daran liegen, dass die allererste Erwähnung des Wortes Emergent in dem englischen Buchtitel eines 1981 erschienenen Buch des deutschen Theologen Johann Baptist Metz vorkommt: "Emergent Church: Future of Christianity in a Postbourgeois World"

Der 1928 geborene Johann Baptist Metz ist ein katholischer Theologe und einer der wichtigsten Vertreter der Politischen Theologie. Leider habe ich nicht herausfinden können, wie das deutsche Original des obigen Buches heißt, aber sicherlich wird die Nähe einer Bewegung zu einer nach Meinung vieler Christen sich im linken politischen Geschäft verlierenden Theologie diese Bewegungen nicht für alle attraktiv machen.

Trotzdem könnte es sein, daß sie möglicherweise schärfer als andere die Probleme im Blick hat, die sich angesichts der vielen modernen Veränderungen auch für den Glauben stellen. Viele Christen spielen diese Probleme herunter und weisen darauf hin, daß das Evangelium einen ewige und universelle Gültigkeit hat. Das ist sicherlich richtig. Richtig ist aber auch, daß kluge und den Menschen zugewandte Prediger auch schon in früheren Zeiten einen Unterschied gemacht haben, ob sie z.B. zu einer bäuerlichen oder zu einer städtischen Gemeinde sprachen. Allein die Auswahl der Beispiele ist unterschiedlich, aber auch das Wissen um die speziellen Anfechtungen und Sünden der Gemeinde (laut Spurgeon eine der notwendigen Hauptkenntnisse jedes Predigers) wird jeden guten Seelsorger dazu bringen, auf den Kontext seiner Zuhörer einzugehen.

Vielen Kirchen wird in diesen Tagen recht schmerzhaft deutlich, daß ihre Botschaft nur noch von einem verschwindend geringen Prozent- oder gar Promillesatz der Menschen ihrer Umgebung gehört wird. Das kann dazu führen, dass man alte Gewissheiten dekonstruiert und neue Kontexte und neue Narrationen zur Kenntnis nimmt.

Ich will weiter lesen (Tochter Carolin hat mir das Buch A New Kind of Christianity von Brian McLaren empfohlen, ich hab es bestellt), freue mich aber natürlich auch über jede Erkenntnis, die mir ein persönlicher Kommentar hier im Blog vermitteln kann. Ich weiß, daß ich eine Reihe von Facebookfreunden habe, die sich schon länger als ich mit dem Phänomen der Emerging Churches beschäftigen. Schreibt mir was!

Ich verspreche jedenfalls, weiter zu forschen und von Zeit zu Zeit mehr darüber zu schreiben.



1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Beim Begriff der Emergenz horcht der Luhmannianer auf, ob er will oder nicht, ist doch die Systemtheorie ganz wesentlich eine Emergenztheorie, die die Welt als eine Schichtung emergenter Ebenen versteht. Die chemische Welt ist emergent gegenüber der physikalischen, die biologische gegenüber der chemischen, die psychische gegenüber der biologischen, die gesellschaftliche gegenüber der psychischen. Entscheidend ist der Antireduktionismus der Theorie, die Chemie läßt sich nicht vollständig aus der Physik erklären, &c., die Gesellschaft nicht vom Menschen her. Ein gläubiger Emergenztheoretiker hätte Anlaß, Gott als die die Emergenz ermöglichende Potenz zu definieren.

Anders als das Deutsche hat das Englische sich den kompletten romanischen Wortschatz einverleibt, to emerge ist hier eine normale Vokabel und bedeutet auftauchen. Viele Dinge tauchen auf, und die meisten verschwinden wieder. Andere bleiben, sind dann aber nicht mehr auftauchend, sondern da, anwesend. In gewissem Sinne ist die Revolution die eilfertige Schwester der Emergenz, und was ist heute verkrusteter als die letzten Hinterlassenschaften der großen Revolution, Kuba, Nordkorea. Will sagen, im Augenblick der Emergenz kann man noch nichts wissen. Richtig ist, daß man sich Aphrodite, die Göttin der Liebe, der Schönheit und der sinnlichen Begierde, als ewig Schaumgeborene, ewig Emergierende vorgestellt hat.