Mittwoch, 22. September 2010

Meeresstille und glückliche Fahrt






Meine Frau Christiane liebt die Schiffahrt, und zwar besonders die gemütliche Fahrt mit kleinen Boten vom Typ Müllemer Böötche (Mülheimer Böötchen, einer Sorte Kölner Vergnügungsdampfer). Sie liebt die Kaffefahrten auf dem Rhein, aber auch die Touren mit flachen Booten auf den Kanälen von Amsterdam oder Brügge oder mit den Istanbuler Linienschiffen auf dem Bosporus und dem Marmarameer. So war sie auch heute die treibende Kraft, um die recht teure, wie sich später herausstellte, den Preis aber vollkommen rechtfertigende Schiffsreise zum Naturschutzgebiet Scandola zu erstehen.

Unser gleichnamiges Schiff Scandola brachte uns innerhalb einer Stunde vom Hafen bis an die Nordspitze des Golfs von Porto und von dort zurück zu einer Kaffeepause in dem kleinen Fischerdorf Girolata, das nur vom Wasser aus oder über Fußwege aus den Bergen zu erreichen ist. Die von schroffen und teils phantastisch geformten Felsen umsäumte Küste war in früheren Zeiten ein Tummelplatz für Seeräuber. Heute nutzt man die Unzugänglichkeit von der Landseite her aus, um Teile des Gebietes als Naturschutzraum fast völlig von der Umwelt abzuschließen.

Das Wetter war etwas bedeckt, aber die Luft war ungeachtet des Herbstbeginns angenehm warm, selbst im Fahrtwind. Wir fuhren die in unterschiedlichen Rottönen und teilweise sogar in Violett schimmernde Küste des Golfes entlang, der von einigen Liebhabern als einer der schönsten Orte auf der ganzen Welt beschrieben und von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt wurde.

Auf dem Weg zurück nach Porto kam die Sonne durch die Wolken, und die Berge am Ufer leuchteten in den schönsten Farben. Aus den Lautsprechern ertönte korsische Musik, die ganz am Ende in ein klagendes Geigensolo überging, das ich schon einmal gehört hatte: es unterlegt die Homepage des Hotels „Les Roches Rouges“, hier kann man es hören*.

Die Sonne verschwand wieder, aber als sie kurz vor dem Untergehen erneut als goldener Ball über dem Wasser sichtbar wurde, beeilten wir uns, noch einmal nach Piana hochzufahren und die Calanche glühen zu sehn. Im Hotel sind wir nicht gewesen, wir hatten uns in der Eile nicht mehr angemessen bekleiden können.



Auf dem Rückweg ging der Vollmond über den hohen Bergen im Landesinneren auf, begleitet von Jupiter. Am frühen Morgen weckte er mich mit gleißenden Licht, das direkt in unser Zimmer schien und die Meeresoberfläche in einen silbernen Spiegel verwandelte.

Irgend jemand führt über unsere Reise gnädig Regie und sorgt dafür, daß wir, wie man sagt, das volle Programm bekommen.

*Wunder der Technik: das iPhone (Applikation "Shazam") analysiert die Melodie als zu einem Album von Petru Guellfucci gehörend, "Corsica", bei Amazon kann man es kaufen.



1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Für Christiane, Sebald zu den Freuden der Bootsfahrt:

Rousseau erfüllt das Inbild der Ruhe und des Friedens, indem er an schönen Tagen weit in den stillen See hinausruderte. Da streckte ich mich dann in dem Kahne aus, schaute zum Himmel hinauf, ließ mich gehen und langsam vom Wasser abtreiben, oft mehrere Stunden lang. Ähnlich handeln und empfinden die Dichterkollegen Kafka: Er rudert an den Nachmittagen ein Stück weit auf den See hinaus. Die Felswände erheben sich aus dem Wasser in das schöne Herbstlicht, so halb und halb grün, als wäre die ganze Gegend ein Album und die Berge wären von einem feinsinnigen Dilettanten der Besitzerin des Albums aufs leere Blatt hingezeichnet worden, zur Erinnerung; und Grillparzer: Gegen Abend ließen wir uns auf einer Barke im Golf spazieren fahren, und ich ließ mit Wonne die Wellen um meine hineingestreckte Hand spielen; und Stendhal: Der drückenden Hitze wegen habe er die Abende draußen auf einer Barke verbracht und im Einbruch der Dunkelheit die seltensten Abstufungen der Farben gesehen und die unvergeßlichsten Stunden der Stille erlebt; und auch Selysses selbst: Auf der Abendseite versank alles bereits in den wie dunkle Fahnen über die steilen Felswände des Dosso dei Róveri herabwallenden Schatten, und auch am jenseitigen Ufer stieg der Abendglanz immer höher hinauf, bis bald nur mehr ein schwacher, rosa lodernder Schein über dem Gipfel des Monte Altissimo zu sehen war.