Montag, 11. August 2008

Vom schmerzhaften Anblick der Arbeit



Im großen Garten von V.S.Naipaul*, dessen Haus sich in einem Dorf bei Salisbury in England befindet, gibt es so gut wie keinen Rasen. Naipaul fühlt sich durch den Anblick der kumulierten Arbeit ermüdet, die in einem solchen Rasenstücks steckt.

"I have a theory that it is exhausting for anyone to look at the large expanse of lawn. The viewer becomes tired reflecting on the effort that goes into cutting all that grass. A lawn is not restful to look at. A lawn represents great labour and noise, hours of rackety lawn mowers. A lawn is exhausting."**

Man kann von daher annehmen, daß sich Naipaul die Eröffnung der diesjährigen Olympischen Spiele in Peking nicht angesehen hat. Hätte er es getan, so wäre er sehr bald tired reflecting on the effort gewesen, hier als kumulierte Arbeit von insgesamt etwa fünfzehntausend Menschen, die während der zweistündigen Show im großen Rund des neuen Olympiastadions aufgetreten sind.

Ich habe ein wenig davon im Fernsehen verfolgen können. Die Komparsen der unterschiedlichen Darbietungen waren in der Regel immer in Hundertschaften zu finden, manchmal in Tausendschaften, und wenn einmal ein einzelner Künstler etwas besonderes vorzutragen hatte, dann schwebte er meistens auf einem großen Teppich, der von einer der unzähligen Hundertschaften oder gleich von mehreren getragen wurde.

Den Höhepunkt bildete eine Darstellung zur Erinnerung an die chinesische Erfindung der Druckerkunst. Es war ein Feld aufgebaut worden mit etwa tausend hölzernen Drucktypen, jede davon etwa zwei Meter hoch, knapp einen Meter im Quadrat und auf der Oberseite mit einem Schriftzeichen versehen. Zum Klang eines chinesischen Musikstückes begannen die Drucktypen,






sich langsam nach oben und unten zu bewegen, bildeten Wellen, verschiedene physikalisch regelmäßige Figuren, konzentrische Kreise und dazwischen immer wieder den chinesischen Buchstaben, der für Harmonie steht.

Kurz vor Schluss der Darbietung wurde als einer der Höhepunkte die chinesische Mauer nachgebildet (Foto oben). Das Ganze wirkte auf mich wie die pixelgenaue Wiedergabe einer Computeranimation, war aber, wie sich am Ende herausstellte, die Handarbeit von tausend jungen Männern, die schließlich alle ihre lachenden Gesichter aus den Drucktypen herausstrecken durften.

Ich muss gestehen, dass ich beim Anblick dieser Männer (Foto rechts) ähnliche Gefühle gehabt habe wie Naipaul beim Anblick eines Stücks Rasen. Ich habe die viele Arbeit, die in einer solchen choreografischen Arbeit liegt - die Kommentatoren sagten, die tausend jungen Männer hätten die Reihenfolge ihrer Bewegungen alle in endlosen Übstunden auswendig gelernt - als etwas eher Schmerzhaftes empfunden, wie ich überhaupt das massenhafte Auftreten von gleich gekleideten und sich in Gleichform bewegenden Menschen nur als etwas ansehen kann, das zu einer Diktatur paßt, nicht zu einer Gesellschaft freier Menschen.

Insgesamt hat vieles, was in diesen Tagen in Peking geschieht, den etwas bitteren Beigeschmack, daß es sich um die prächtige Machtentfaltung eines unfreien und zur Weltherrschaft angetretenen Staates handelt. Manchmal fürchtet man, es sei alles gerade so, als ob sich Berlin 1936 wiederholen würde.


*Englischer Schriftsteller, geboren 1932, vollständiger Name Vidiadhar Surajprasad Naipaul, Nobelpreisträger von 2001


**Das Zitat stammt aus dem Buch „Sir Vidia’s Shadow“ von Paul Theroux

1 Kommentar:

Peter Oberschelp hat gesagt…

Man könnte ergänzen, daß der Sport eigentlich ja als ein etwas der Arbeit Entgegengesetztes ersonnen wurde. Das mag nicht stimmen, aber so ist es uns in jungen Jahren erschienen, und die relative Bescheidenheit sportlicher Auftritte ließ daran glauben. Das ist nun alles vorbei, und der unglaubliche Bombast, der über etwas gestülpt ist, das offiziell immer noch den Status einer liebenswerten Nebensache beansprucht, kann angesichts der Wahrheit nur noch Abscheu hervorrufen. Und dazu die komplette Verdorbenheit. Im neuen Spiegel garantiert ein Insider, der es wissen muß, daß alle acht Endlaufteilnehmer über hundert Meter gedopt sein werden, weil sie sonst schon im Vorlauf ausgeschieden wären. Auf die Frage, ob es noch saubere Sportarten gebe fällt ihm gar nichts ein, selbst die Bogenschützen dopen, alle dopen. Die Idee des fairen Wettkampfs ist mausetot. Da ebnet sich auch der Unterschied zwischen sogenannten freien und anderen Gesellschaften ein, nur daß in den letzteren sicher Staatsdoping betrieben wird.