Samstag, 30. August 2008

Blick in die Welt, Teil 2




Seit gestern gibt es ein republikanisches Gegenstück zum Demokraten Obama: Sarah Palin (gesprochen PAY-lin), geboren als Sarah Heath am 11. Februar 1964, Gouverneurin von Alaska seit 2006. Obamas Konkurrent McCain will sie zur Vizepräsidentin machen.

Auch sie schlägt ihre politsichen Gegner mit unkonventionellen Methoden aus dem Rennen, apelliert an das Wir-Gefühl der Menschen und schüttet alte Gräben zu.

Im Bild ist sie als "Miss Wasilla 1984" zu sehen, das ist das Dorf, in dem sie in Alaska aufgewachsen ist.

Nachtrag: ihre Parteitagsrede vom 3. September.

Freitag, 29. August 2008

Ein Blick in die Welt





Obwohl ich politisch eher unbedarft bin und die Entscheidungen der Regierungen mehr und mehr mit wachsendem Respekt und deshalb auch wachsender Distanz sehe, ziehen mich Momente wie die Rede von Barack Obama am 28. August auf dem Parteitag der Demokraten in Denver doch magisch an.

Es ist etwas Großes darin, bei Obama auch sicherlich etwas Neues, neu in der Wahl seiner Worte, neu in der Balance zwischen alten Traditionen und frischen Ideen. Ich bin zwar nicht vollkommen von Obama überzeugt, vielleicht würde ich in den USA sogar John McCain wählen, ich weiß es nicht und bin froh, es nicht entscheiden zu müssen. Aber es spricht mich doch stark an, wie Obama Versöhnung und Erneuerung so heraufbeschwört, daß am Ende eine wunderbare Einheit daraus wird.

Man sollte es gesehen haben: das Video, das ich oben verlinkt habe, dauert 42 Minuten, der Redetext läuft auf der rechten Seite des Bildes mit.

Eine kleine eigene Recherche: das Bibelzitat am Ende der Rede stammt aus Hebräer 12, 23.

Dienstag, 19. August 2008

Am Rande der Legalität



Manchmal kann man den Blog nur füllen, wenn man an den Rand der Legalität geht oder gar darüber hinaus. Ich fühlte mich meinen Lesern gegenüber seit Tagen verpflichtet, mehr über die neue Brücke über den Remscheider Bahnhof zu berichten, von der ich am 6.8.08 in diesem Blog erzählt habe, und dafür auch ein Bild aus der Nähe zu liefern. Dazu habe ich heute um etwa 19.00 Uhr den sehr langen, sehr dichten Bauzaun an einer Schwachstelle überwunden und bin gegen alle polizeilichen Vorschriften auf das Baugelände vorgedrungen.

Es erschien mir zunächst menschenleer zu sein. Ich sah dann aber, daß sich einer der Kräne drehte und mußte nicht lange warten, bis über die Brücke ein Arbeiter auf mich zu kam.

Als er nur noch wenige Meter entfernt war, hob ich meine Hand zu einem indianischen Friedengruß und sagte in einem möglichst entwaffnenden Tonfall: "Ich bin illegal hier." Der Mann lächelte freundlich und entgegnete mit breitem polnischen Akzent: "Macht nix, ich nur arbeiten hier." Danach murmelte er noch etwas von illegal, das sich fast so anhörte, als ob auch er nicht mit allen amtlichen Papieren ausgestattet hier anwesend sei. Ich will aber zu Gunsten der namhaften Firmen, die auf dem Bahngelände arbeiten, annehmen, daß ich das nicht richtig gehört habe.

Wie auch immer: hier ist die neue Brücke, von oben auf der Höhe fotografiert, mit einem aus dem Bahnhof fahrenden Zug drunter. Ich möchte angesichts der roten Stäbe und des anmutigen Daches sagen: China!

Samstag, 16. August 2008

Projekt Koran



Vor etwa 14 Tagen habe ich damit begonnen, den Koran zu lesen. Ein freundlicher und frommer Türke hat mich dazu angeregt und mir mit vielen bereitwilligen eMail-Auskünften zu einem guten Einstieg verholfen.

Nun habe ich zehn der 114 Suren gelesen, das ist immerhin fast ein Drittel des Korans*, bei dem die langen Suren vorn stehen. Um mich selbst zur Aufmerksamkeit zu motivieren, habe ich jeweils meine Beobachtungen notiert und um Hinweise auf Quellen und Kommentare ergänzt - das Internet ist wie zu erwarten randvoll mit Material.

Wer ein wenig nachlesen will - es ist ein neuer Blog daraus geworden. Ich versuche darin etwas Neues: den Glauben meines türkischen Freundes ganz ernst zu nehmen und nach seinen spirituellen Quellen zu forschen, und dabei als ein ganzer Christ zu lesen und zu verstehen. Ich kann jetzt schon sagen, daß zumindest eine Wirkung beim Lesen eintritt: man fragt sich, warum man nicht auch als Christ so gradlinig und undialektisch glauben darf wie die Muslime.

*mein hier abgebildetes Exemplar, vor Jahren in einem Antiquariat in Holland erworben, ist 1901 im Reclam-Verlag erschienen, der Übersetzer war Max Henning. Wikipedia streitet darüber, ob seine Übersetzung als "nahe am Original" gelten darf - ich finde das teilweise schon recht alte Deutsch dem Alter des Korans in jedem Fall angemessen.

Freitag, 15. August 2008

Schmerzhafte Arbeit (Nachtrag)



Heute las ich bei Spiegel-Online, daß die Männer in den Kästen mit den Druckzeichen sieben Stunden lang in ihren engen Gehäusen ausharren mußten, bevor sie zu ihrer großen Stunde kamen. Sie trugen dabei Windeln, weil sie in dieser Zeit nicht zur Toilette gehen konnten.

Die Zuschauer sollten erst am Ende erfahren, daß die Kästen von Menschen bewegt werden. Deshalb mußten die Männer bereits vor dem Einlaß des Publikums ihre Plätze einnehmen und in den Kästen versteckt auf ihren Auftritt warten.

Ich bin nach wie vor skeptisch, was den Charakter eines politischens Systems betrifft, das seinen Leuten solche Zwänge zumutet. Immerhin - die Freude der jungen Männer an der frischen Luft, nach sieben Stunden Brutkasten und Uringeruch, mußte sicherlich nicht gespielt werden.

Montag, 11. August 2008

Vom schmerzhaften Anblick der Arbeit



Im großen Garten von V.S.Naipaul*, dessen Haus sich in einem Dorf bei Salisbury in England befindet, gibt es so gut wie keinen Rasen. Naipaul fühlt sich durch den Anblick der kumulierten Arbeit ermüdet, die in einem solchen Rasenstücks steckt.

"I have a theory that it is exhausting for anyone to look at the large expanse of lawn. The viewer becomes tired reflecting on the effort that goes into cutting all that grass. A lawn is not restful to look at. A lawn represents great labour and noise, hours of rackety lawn mowers. A lawn is exhausting."**

Man kann von daher annehmen, daß sich Naipaul die Eröffnung der diesjährigen Olympischen Spiele in Peking nicht angesehen hat. Hätte er es getan, so wäre er sehr bald tired reflecting on the effort gewesen, hier als kumulierte Arbeit von insgesamt etwa fünfzehntausend Menschen, die während der zweistündigen Show im großen Rund des neuen Olympiastadions aufgetreten sind.

Ich habe ein wenig davon im Fernsehen verfolgen können. Die Komparsen der unterschiedlichen Darbietungen waren in der Regel immer in Hundertschaften zu finden, manchmal in Tausendschaften, und wenn einmal ein einzelner Künstler etwas besonderes vorzutragen hatte, dann schwebte er meistens auf einem großen Teppich, der von einer der unzähligen Hundertschaften oder gleich von mehreren getragen wurde.

Den Höhepunkt bildete eine Darstellung zur Erinnerung an die chinesische Erfindung der Druckerkunst. Es war ein Feld aufgebaut worden mit etwa tausend hölzernen Drucktypen, jede davon etwa zwei Meter hoch, knapp einen Meter im Quadrat und auf der Oberseite mit einem Schriftzeichen versehen. Zum Klang eines chinesischen Musikstückes begannen die Drucktypen,






sich langsam nach oben und unten zu bewegen, bildeten Wellen, verschiedene physikalisch regelmäßige Figuren, konzentrische Kreise und dazwischen immer wieder den chinesischen Buchstaben, der für Harmonie steht.

Kurz vor Schluss der Darbietung wurde als einer der Höhepunkte die chinesische Mauer nachgebildet (Foto oben). Das Ganze wirkte auf mich wie die pixelgenaue Wiedergabe einer Computeranimation, war aber, wie sich am Ende herausstellte, die Handarbeit von tausend jungen Männern, die schließlich alle ihre lachenden Gesichter aus den Drucktypen herausstrecken durften.

Ich muss gestehen, dass ich beim Anblick dieser Männer (Foto rechts) ähnliche Gefühle gehabt habe wie Naipaul beim Anblick eines Stücks Rasen. Ich habe die viele Arbeit, die in einer solchen choreografischen Arbeit liegt - die Kommentatoren sagten, die tausend jungen Männer hätten die Reihenfolge ihrer Bewegungen alle in endlosen Übstunden auswendig gelernt - als etwas eher Schmerzhaftes empfunden, wie ich überhaupt das massenhafte Auftreten von gleich gekleideten und sich in Gleichform bewegenden Menschen nur als etwas ansehen kann, das zu einer Diktatur paßt, nicht zu einer Gesellschaft freier Menschen.

Insgesamt hat vieles, was in diesen Tagen in Peking geschieht, den etwas bitteren Beigeschmack, daß es sich um die prächtige Machtentfaltung eines unfreien und zur Weltherrschaft angetretenen Staates handelt. Manchmal fürchtet man, es sei alles gerade so, als ob sich Berlin 1936 wiederholen würde.


*Englischer Schriftsteller, geboren 1932, vollständiger Name Vidiadhar Surajprasad Naipaul, Nobelpreisträger von 2001


**Das Zitat stammt aus dem Buch „Sir Vidia’s Shadow“ von Paul Theroux

Mittwoch, 6. August 2008

Eine Brücke für meine Großeltern







Über die neue Fußgängerbrücke im Bereich unseres Remscheider Bahnhofs würden sich meine Großeltern Adolf und Lieschen Runkel sicherlich sehr gefreut haben. Die Brücke verbindet den Südbezirk, in dem die Elternhäuser Runkel und Altena nebeneinander standen, mit der Innenstadt, in welcher das junge Paar nach seiner Hochzeit, kurz nach dem Ersten Weltkrieg das erste Haus bezog.

Der Weg von dort zurück zu den Eltern der beiden in der Rosenhügeler Straße, in welcher auch die 1898 von meinem Urgroßvater Christian gegründeten Baufirma lag und bis heute liegt, war durch die breiten Gleisanlagen des Remscheider Haupt- und Güterbahnhofs zerschnitten.

Hinter den Schienensträngen, die sich damals im Bahnhofsbereich auf zwölf Gleise und Nebengleise auffächerten, und hinter den großen Fabrikhallen der BSI (Bergische Stahlindustrie, jetzt Thyssen und einige andere) führte der Kern des Südbezirkes immer ein gewisses Schattendasein und ist traditionell mit seinen preiswerten Wohnungen ein bevorzugtes Ziel von Migranten. Um 1880 herum waren das die Wanderarbeiter aus dem Oberbergischen Land meines Urgroßvaters, heute sind es die Türken.

Die Eisenbahn kam 1868 nach Remscheid, der zunächst schienengleiche Überweg in den Südbezirk wurde später durch „die Unterführung" (Bild) ersetzt, eine Stahlbrücke, auf der die Schienen verlaufen und unter der die Autos und lange Jahre auch eine Straßenbahn durchfahren konnten. Man wurde nun etwas komfortabler an die Innenstadt angebunden, wenn auch finsterer.

Die Fußgänger hatten auf den schmalen Gehsteigen der Unterführung wenig verloren, für sie wurde etwa 50 Meter weiter westlich die"Fußgängerunterführung“ geschaffen, noch finsterer als die große Schwester nebenan, eine häßlich verflieste Tropfsteinhöhle, durch welche die Remscheider Frauen und Kinder immer nur mit Beklommenheit hindurch gingen.

Ich vermute, daß diese Fußgängerunterführung schon zu den Zeiten eingerichtet war, als meine Großeltern in der Weimarer Republik meine Urgroßeltern besuchten, seit 1920 zusammen mit meinem Vater. Der hat diese dunkle Höhle sicherlich unzählige Mal in seinem Leben durchquert.


Seit einigen Wochen nun ist die Höhle gesperrt, wird abgerissen oder aufgefüllt, wie auch immer, und wird durch die schöne neue Brücke überflüssig gemacht, die in wenigen Wochen dem Verkehr übergeben werden soll.

Besonders schön an der Brücke finde ich, daß sie nicht nur die wenigen Meter überquert, auf denen die restlichen zwei Gleise des komplett umgestalteten Bahnhofsgeländes verblieben sind, sondern daß sie hoch oben auf der einmal gewonnenen Höhe bleibt, sich dort verlängert, einige neue Geschäftshäuser erschließt und dann erst ganz am Ende der alten, jetzt überbauten Gleisanlagen über eine Rampe in den Südbezirk hinunter führt.


Auf der städtischen Seite soll eine breite Treppe, etwa dort, wo auf dem Foto rechts noch der Bagger steht, auf die Höhe der Brücke hinauf führen. Wenn ich einen älteren Zeitungsbericht richtig in Erinnerung habe, war für diese Treppe ein Wort im Gespräch, das an venetianisch anklang.


Im Hintergrund ist der Turm von St. Joseph zu sehen, er wurde vor einigen Monaten frisch angestrichen. Er steht schräg hinter dem "Zentralpunkt" gennanten Platz im Herzen des Südbezirkes. Ich habe bis in meine späten Lebensjahre hinein den Turm nie bewußt wahrgenommen, sei es wegen seiner nichtssagenden funktionalen Häßlichkeit, sei es, weil ich als Nachkomme vom Migranten immer noch mit zum Boden gesenkten Blick durch dieses Viertel gehe.

Spätestens beim ersten Gang über die venetianische Treppe auf die Brücke hinauf werde ich ihn erheben. Irgendwann kommt schleißlich jeder Migrant einmal an.

Eine Buslinie für unsere Straße




Vor ein paar Wochen sind Arbeiter der städtischen Busbetriebe in unsere Straße gekommen und haben nicht weit von unserem Haus Schilder mit einem großen H darauf aufgestellt, je eines auf beiden Seiten der Straße. Wenig später kamen dann die ersten Busse durch unsere Straße gefahren und hielten an einem der beiden H's an.

Vielleicht ist das Auftauchen der Busse die größte Veränderung unserer Straße in den 30 Jahren, in denen wir hier wohnen. Zwar werden die Busse in wenigen Wochen wieder verschwinden, denn sie nutzen nur für eine Übergangszeit unsere Straße, als Umweg um eine Baustelle herum. Aber ein Küchenfenster mit einem Blick auf einen draußen vorbeifahrenden großen Linienbus - das ist doch schon etwas ganz anderes, als ein Fenster mit einem Blick auf eine leere, stille Seitenstraße.

In meiner Erinnerung habe ich nie in einer Straße mit Bus gewohnt. Selbst die laute und viel befahrene Nordstraße, in der ich als Kind aufgewachsen bin, war damals noch nicht durch einen Bus erschlossen. Später gab es zwar einen Bus in das ruhige Neubauviertel, in das meine Eltern 1963 mit uns Kindern umzogen, aber seine letzte Station war noch ein ganzes Stück von unserem Haus entfernt, das am Ende einer Sackgasse lag. Auch unser erstes Haus in Krefeld, in dem Judith und Eva die ersten Lebensjahre verbracht haben, lag in einer Sackgasse ohne Busanbindung.

Die Zülpicher Straße in Köln, in der ich als Student wohnte, hatte eine Straßenbahn, welche beim Losfahren die Wände des Hauses erzittern lies. Aber das war nicht mein wirkliches Haus, und ich habe die Straßenbahn nie beachtet - im Gegenteil: ich habe trotz ihres Lärmens oft bis mittags geschlafen.

Christiane hatte in Wiedenest einen Bus vor der Tür, und nicht nur das: eine eigene Haltestelle, die nach dem Möbelgeschäft ihrer Familie "Haltestelle Werkshagen" hieß! Der Traum jedes Menschen: eine Straße nach sich benannt bekommen. Aber was ist das schon gegen eine Bushaltestelle...

Zurück nach Remscheid: nun haben wir also einen Bus, und ich habe staunend gesehen, daß man sich im Internet genau dieselben Tafeln herunterladen kann, die draußen an den beiden Haltestellen unter Plastik angeheftet sind und die Abfahrtszeiten anzeigen. Man könnte sich, wenn die Kinder mit diesem Bus noch zur Schule müßten, in der Küche eine kleien Ecke einrichten und dort die Tafeln aufhängen. Dann hätte man so etwas wie eine kleine eigene Haltestelle, Papierkorb dazu, ein Sitz aus Blech, fertig.

Tagsüber kommt der Bus alle 20 Minuten, das ist schon fast großstädtisch.